Mädchen und Mathe

„Frauen können nicht logisch denken“ - und Mädchen können sowieso kein Mathe! Ein Beitrag zu Männer-Domänen und dumm-dämlichen Rollenklischees.

Hört sich nach einem miesen Vorurteil an oder ist die Behauptung etwa wahr? Leider scheint etwas dran zu sein: Mädchen schneiden in naturwissenschaftlichen Fächern in Deutschland immer noch schlechter ab als die Jungen, besonders in Mathematik! Seit Jahrzehnten suchen WissenschaftlerInnen nach Gründen. In den 60er Jahren herrschte ein vorsintflutliches Rollenbild: „Die Frau ist emotional und deshalb fällt ihr rationales Denken schwer“. Aus deisem Grund lautete damals die Forschungsfrage: Weshalb können Mädchen in Mathematik nicht soviel wie Jungen? Dieser Ansatz ist natürlich komplett unwissenschaftlich, weil er bereits vorausetzt, dass Mädchen weniger können. Seit den 80er Jahren wird deshalb gefragt: Warum wollen Mädchen nicht soviel leisten wie Jungen? Es wird in Studien untersucht, warum Mädchen schlechtere Noten schreiben und wieso sie das Fach Mathematik schneller abwählen als Jungen.

*Nur eine Frage des Selbstvertrauens?*
„Mathematik gilt seit jeher als Jungenfach“. Diese Annahme führt dazu, dass Jungen ganz selbstbewusst und selbstverständlich mathematische Aufgaben lösen. Sie neigen sowieso dazu, ihre Fähigkeiten zu überschätzen. Mädchen dagegen unterschätzen sich selbst eher und fühlen sich im Mathe-Unterricht unwohl. Für sie ist Mathematik einfach Jungssache. Außerdem führen sie ihre Erfolge auf Glück zurück und Misserfolg auf mangelnde Begabung. Verschiedene Studien zeigen, dass Mädchen trotz guter Leistungen in Mathe kein Selbstvertrauen entwickeln. Gerade in der Pubertät aktivieren die Mädchen ein „geschlechtsspezifisches Selbstkonzept“, das heißt, sie orientieren sich immer stärker an weiblichen Rollenbildern. Mathe erscheint ihnen dabei als unweiblich. Forschungen brachten zum Vorschein, dass Mädchen mit einem androgynen oder maskulin ausgerichtetem Rollenverständnis wesentlich besser sind in Mathematik und sich auch später eher für einen naturwissenschaftlichen Beruf entscheiden. Das Ganze klingt ziemlich antiquiert und beruht auf einem dumm-dämlichen Rollenklischee, doch solche gesellschaftlichen Stereotype sitzen tief und fest. Ein Blick zurück soll zeigen, wie tief!

*Wo sind berühmte Mathematikerinnen? Wo sind die Vorbilder?*
Pythagoras, Leibniz, Newton oder Einstein – das sind wahre Mathe-Genies, doch wo sind die Frauen? Gab es keine oder wurden sie unter den Teppich der männlichen Erfolgsgeschichte gekehrt? Es gab schon in der Antike Frauen, die sich mit Mathematik beschäftigten, aber sie tauchen in den Geschichtsbüchern nicht auf: Theano zum Beispiel, die an der Seite von Pythagoras 600 v. Chr. geforscht hat. Man nimmt an, dass sie seine Frau oder Tochter war. Nach Pythagoras' Tod übernahm sie die Leitung seines mathematischen Geheimbundes. Zu allen Zeiten gab es begabte Mathematikerinnen, wie die Italienerin Maria Agnesi, die Französin Sophie Germain, die Britin Ada Lovelace oder die Russin Sofia Kovalevskaya. Alle hatten eins gemeinsam, sie waren die Töchter von berühmten Mathematikern und mussten ihr ganzes Leben dafür kämpfen, mathematische Studien betreiben zu dürfen. Die bekannteste deutsche Mathematikerin war Emmy Noether (1882-1935) und auch sie hatte zeitlebens gegen Diskriminierungen zu kämpfen: Erst nach heftigen Kontroversen und einer Gesetzesänderung durfte sie 1919 als erste Frau habilitieren. Sie hat nie Geld für ihre Professorentätigkeit erhalten, ihr jüngerer Bruder und zahlreiche Schüler dagegen schon. Mathe war und bleibt eine Männer-Domäne: It's a men's world!

*Rolle der Eltern und Lehrer*
Gerade weil positive weibliche Vorbilder in der Geschichte fehlen, müssen Lehrer und Eltern diese Vorbild Funktion stärker ausfüllen. Studien zeigen leider, dass auch heute noch Eltern unterschiedliche Erwartungen hinsichtlich der Fähigkeiten ihrer Kinder haben: Sie messen den mathematischen Fähigkeiten ihrer Söhne eine größere Bedeutung zu. Ähnlich sieht das auch bei den Lehrern aus: Jungen mit guten Leistungen werden von Lehrern für intelligent, Mädchen mit guten Leistungen für fleißig gehalten. Diese stereotypischen Erwartungen zeigen ihre Wirkung. „Mädchen können kein Mathe“ wirkt wie eine „self fulfilling prophecy“. Eltern und Lehrer müssen umdenken und Mädchen aktiv unterstützen, denn sie können Mathe genauso gut wie die Jungs!!!!

*Was kann man tun?*
In den 90er Jahren glaubte man die Lösung gefunden zu haben. Getrennter Matheunterricht! Laut wissenschaftlicher Untersuchungen entwickelten Mädchen, die ohne Jungs Matheunterricht hatten, ein gößeres Interesse und schrieben auch bessere Noten. Außerdem schafften sie eine konzentriertere und angenehmere Arbeitsatmosphäre, als die eher konkurrenz-betonte in der Jungengruppe. Auch wenn die Kinder ab der 10. Klasse wieder gemeinsam unterrichtet wurden, behielten die Mädchen ein größeres Selbstvertrauen in die eigenen Mathefähigkeiten. Obwohl die Zahlen für sich sprechen: 40 % der Informatik-Studentinnen kommen aus Mädchengymnasien, obwohl diese nur 4 % der weiterführenden Schulen ausmachen! Dennoch hat sich der getrennte Matheunterricht als Modell nicht durchgesetzt, angeblich würden so beiden Geschlechtern Defizite bescheinigt: Leistungsmängel bei den Mädchen und soziale Defizite bei den Jungs. Weiter setzt man auf gemneinsamen Unterricht und eine „geschlechterbewußte Pädagogik“: Freiarbeit, Gruppenarbeit, Projektarbeit. Außerdem soll Raum für kreative Darstellung und ein individuelles Unterrichtstempo helfen. Die Lehrer sollen auf die Verschiedenartigkeit besser eingehen, mit geschlechtsspezifischen Rechenbeispielen: Pferdeaufgaben und Fussballaufgaben. Ob das die Lösung ist???

*Harvard Präsident löst Skandal aus...*
...mit der Frage nach dem kleinen Unterschied. „Frauen sind möglicherweise weniger geeignet für Mathematik und Naturwissenschaften als die Männer“, dies äußerte der Präsident der Harvard-Universität Lawrence Summers 2005 öffentlich in einer Rede, und das kostete ihn seinen Job. Der frühere US-Finanzminister setzte sich damit in ein Wespennest. Eigentlich wollte er nur fragen, warum unter den 10.000 führenden Ausnahmewissenschaftlern so wenig Frauen zu finden seien. Leider formulierte er so ungeschickt, dass es am Ende so klang, als würde es mehr männliche Genies geben als weibliche. Ein Sturm der Entrüstung setzte ein und Summers musste zurücktreten. Dabei wäre es wichtig, genauer zu untersuchen, inwiefern kulturelle, gesellschaftliche und familiäre Gründe für das schlechtere Abschneiden der Frauen verantwortlich sind, oder ob es vielleicht doch geschlechtsspezifische Faktoren gibt. Hirnforscher und Psychologen untersuchen den Einfluss von Geschlechtshormonen auf das räumliche Vorstellungsvermögen bei Frauen und Männern und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Doch diese Untersuchungen rühren an das Tabu der Gleichheit, und deshalb ist es gerade an den Universitäten schwierig, Forschungen in diesem Bereich durchzuführen. Solange es keine neuen Erkenntnisse gibt, gilt wie gesagt: „Mädchen können genauso gut Mathe wie Jungs!!!!!!“

Autorin / Autor: Mo Graf - Stand: 11. Dezember 2007