Die Falte

Wettbewerbsbeitrag von Carlos, 26 Jahre

Die Frage, die sie gerade am meisten beschäftigte war, wann hat das alles angefangen, wo hätte sie den Lauf der Dinge ändern müssen, um nicht in dieser aussichts-, hoffnungs- und gottlosen Leere zu Enden. Ein Malstrom. Wann war es zu spät zum Umkehren gewesen? Gleich der Aggregationsscheibe eines Schwarzen Loches, kreisten ihre Gedanken um diese Frage. Wann? Wann war es zu spät zum Umkehren gewesen? Auf Luna, Titan oder am Kuipergürtel. Die Erinnerungen brachen ihre Bahnen, nein, beim Gürtel war es auf jeden Fall schon zu spät gewesen, drehten ihre Runden. Aber vielleicht am Neptun. Ja am Neptun hätte sie sozusagen die Segel streichen müssen. Doch die Zeichen standen gut, keine dunkeln Omen zu deuten in den Sternen, sie hätte diese Once in a Lifetime Post Doc Stelle um nichts aufgeben - Oh wie selig die Unwissenheit.
 
Nun, alles begann wohl mit dieser vielversprechenden Position als Leiterin eines sogenanntes Joint Projekt mit dem erweiterten Innern Rat und in der größten Miningcompany, die das System je gesehen hat - Sitz auf Luna, weithin nur die Company genannt. Nur die besten wurden genommen. Und sie die Glückliche, oh gepriesen sei ihr Genie und Wissen, Felicita Nigthgale, hatte es in die Endrunde der Auswahl geschafft und war schließlich als Kapitänin eines forschungs-pionierischen-mining Schiffs, wie es ihr Dossier nannte, zusammen mit einer Post Doc Stelle eingestellt worden. IN DER COMPANY - god dam.
 
Die Aufgabe der Mission war nun denkbar einfach gewesen. Hauptaufgabe teste im Kuipergürtel und der Oortschen Wolke die neuen RMS unter extrem Bedingungen. Zudem richte bei Titan und Triton eine Skyhookroute ein, als kleinen Extraservice für den Big Game Sponsor, dieser wunderbaren Expedition, damit Triton endlich kommerziell billig, sprich nutzbar für die Company wird. Das Wasser wurde schließlich gebraucht. Aber was haben die Entdecker von früher gesagt, wenn Sie das Ende der Karten erreichten: Hier gibt es Drachen. Wie treffend.
 
Trotz all dieser Aufgaben war sie, zumindest ihrer bescheidenen Meinung nach, die perfekte Wahl für den Job. Immerhin war sie eine renommierte Wissenschaftlerin, hatte ihren Doktor in Astromolekülie und Raumfaltung mit Auszeichnung abgeschlossen, war eine Expertin in den gängigen RMS. War also auf mögliche worst case Szenarien bestens vorbreitet - in der Theorie.
 
„Ding.“ Ein Signal ertönte, irgendwas mit zu wenig Sauerstoff. „Whmh“ Es war egal, zu mehr als einem Wimmern war sie nicht in der Lage.  Sie begann zu beten, zu hoffen, dass ein Schiff, irgendein Schiff sie doch noch entdecken würde. Die Überlegung die Restluft der Kapsel in den Ether abzulassen, stand durch aus im Raum - untypisch für sie. Sie versank wieder in ihren Gedanken, die erst langsam dann immer schneller den Strudel der Ereignisse nachempfanden, der sich nach Triton entwickelte, gefangen in seinen Sog und gen Mittelpunkt stürzend, der dem Ende gleichkam, dem endgültigen und finalen Ende, aller Masse und Dinge, wie in einen Schwarzen Loch, nur das dort etwas anders lag. Etwas gänzlich anderes.
 
Nach Triton begannen die Probleme. Kommunikationsausfall aber, da sie den ersten Teil der Mission erfolgreich abgeschlossen hatte, würden bald viele Schiffe der Company eintreffen um das Eis des Neptun Mond zu schürfen. Diese würde sie zur Bildung einer Kommunikationsbrücke nutzen. Wäre sogar im Compfunk verschlüsselt, ganz so wie gewünscht. Doch als dann auch der MS-Kommunikator ausfiel war sie schon im Kuipergürtel und ihr Schicksal damit besiegelt. Doch noch war die Stimmung gut, die Arbeit lief, die Scans einwandfrei und gestochen scharf, der Gürtel selbst ließ sich gut passieren, sie musste nur wenig räumen. Doch neue Technik, man kennt‘s, funktioniert nie lange einwandfrei, deshalb gab es ja sie und diese Mission, um die Systeme zu testen. Um Fehler, welche in der PT-Phase übersehen wurden, zu finden und radikal auszumerzen. Aber ganz Murphys Law entsprechend ging alles schief was schief gehen konnte. Das Drama, das vorhergesehene Unvorhergesehene, um es so zu nennen, geschah kurz nach einem Routinecheck.
 
Gegen die Natur der Falten kam diese unverhofft, normalerweise kündigt sich eine Falte an, wie ein Seebeben, die Verwerfung des Raums löst eine Gravitationswelle aus, einem Tsunami gleich, die ihre Sensoren zu 100% entdeckt hätten. Selbst mit dem ständigen Rauschen der Traktorstahlen. Wann war es zu spät?
 
SCHLAGARTIG pulverisierten sich alle Brocken in näherer Umgebung. Die Sensoren schlugen wild und lösten sämtliche Notprotokolle aus. Die Schiffsintegrität blinkte wie ein Weihnachtsbaum, der Druckabfall rapide und unnatürlich, als wären schlagartig alle Hüllen gebrochen. Ein knarren der Wände, das absolut nichts Gutes verhieß, lief längs des Schiffs entlang, als die Welle das Bug mit voller Wucht traf. Wann zu spät? Sie versuchte die Schäden zu kompensieren. Der Alarm heulte, alles war in Rot getaucht. Sie kämpfte gegen das Trudeln, gegen den Kontrollverlust, kreisendes rot leuchtendes Flackern, gegen den einsetzenden Sog der das Schiff erfasste. Sie war ruhig, konzentriert, wusste was zu tun war, verdrängte das Wimmern und Kreischen der Schiffswände. Doch fielen die Steuerdüsen langsam aus, eine nach der anderen. Wann?
 
Der Blick nach draußen beinahe schon jetzt auslöschend, schon jetzt Terror. Jeder Theorie widersprechend, konnte sie die Falte sehen, die sich überlagernden Schichten der Realität, durchscheinend wie zwei Buchseiten im Gegenlicht. Sehen wie sich Buchstaben überlagern, zwei Seiten der Wirklichkeit, der Zeit. Schemen unaussprechlich. Unnennbar. Erahnbar. Oh glückliche Unwissenheit. Das Sicherheitssystem funktioniert noch, dachte sie, im Moment klar, wo doch alles sonst verrückte, nicht funktionierte, nicht ordnungsgemäß funktionierte, nicht sollte und durfte, kreischte und wimmerte. Wann ist es zu spät. Wann ist der Punkt ohne Wiederkehr? Hier genau. Rotes Licht, kreischen kreiseln stürmt, zur Kapsel. Rotes Licht, Schemen im Zentrum der größer werdenden Falte, als das Schiff unaufhaltsam auf den Schlund zurast. Rotes Licht, Flucht, Wahn, von Sinnen. Weg wann zu spät. Dieser Anblick vernichtete sie, löschte sie vollkommen aus. Ihr Geist zerfasert. Die Kapsel. Die Erinnerung springt, sie springt, schießt weg, weg vom Schiff, weg vom Schlund, vom Nebel weg, mit aller Kraft des Antriebs. Mach 100. Weg, weg von der Falte, zurück zu spät zu spät zurück wann zu spät - zerrissen - der letzte Gedanke einer leeren Hülle kreisend in gott-, hoffnungs- und geistloser Leere.
 

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Carlos