Wer ist Helen Braun?

Wettbewerbsbeitrag von Lianna Wimmer, 14 Jahre

Alles fing mit einem einzigen Brief an. 
Wie jeden Morgen träge aus dem Briefkasten geangelt und Kaffee schlürfend, sorgfältig gelesen, sodass die Müdigkeit den Augen ja kein Wort verdeckt. 
Darin stand anfangs nur das Übliche: die neuesten Forschungsergebnisse. Ein paar Kometen wurden gesichtet, Staub für eine deprimierend graue Galaxie gehalten und ein alter Forscher in den Ruhestand verabschiedet, ohne je etwas Bedeutendes vollbracht zu haben. 
So würde, stellte sie sich vor, auch Helen Braun enden. 
Allein, wie schon immer, jederzeit unauffällig und so ziemlich unbedeutend zum Verlauf der Menschheit, ohne dass sich das jemals ändern sollte. Helen schwor sich schon seit ihrem ersten Gedanken an die Zukunft, ungefähr im Teenageralter, dass ihr Leben später auf keinen Fall als gewöhnlich gelten sollte. Als sie dann eines Nachts den Sternenhimmel emporblickte wurde sie sozusagen von der Stärke und Kraft des unendlich scheinenden Universums eingesogen, entkam der Faszination nicht mehr, und entdeckte so, der perfekte Beruf für diese Prämisse wäre Weltraumforscherin. 

Überraschend stand im Anhang des Briefes etwas überhaupt nicht Übliches. „Sehr geehrte Helen Braun, wir fordern Sie dringlich auf, unverzüglich unserer Einladung zu folgen und zu einem wichtigen Treffen zu erscheinen. Morgen um 9 Uhr in der Früh wird ein Flugzeug am Flughafen auf Sie warten. Es geht um einen wichtigen Auftrag der Weltraumföderation und es steht viel auf dem Spiel - eine Absage erfolgt sofort oder gar nicht. Wir empfangen Sie und andere dann auf einer Insel, sprechen Sie mit niemandem darüber. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen. Wir hoffen, Sie morgen erwarten zu können.“

Helen machte große Augen und sah unter dem Text eine Telefonnummer. Darüber stand geschrieben: „Bei Absage kontaktieren Sie uns hier:“ 
Sie fluchte, warf den Brief neben einen Stapel Ordner und faltete ihre Hände über dem Kopf zusammen. Als sie sich im Spiegel betrachtete, war ihr Gesicht blasser, ihre Hände rötlicher als normal, aber trotzdem empfand sie die übliche Abneigung, die Teil ihres Alltags geworden war. 
Was sollte sie nur tun? Eigentlich hätte sie ihre Mutter angerufen, aber was würde die ihr erzählen? Natürlich würde sie versuchen, sie davon abzuhalten und Helen wusste, dass die Entscheidung nach einem Gespräch mit ihrer Mutter nicht so getroffen werden würde, wie Helen es sich ganz tief in ihrem Inneren wünschte. 
So tat sie gar nichts, holte sich ein kühles Erdbeereis, weil traurige Mädchen in Filmen immer Eis essen, und setzte sich in vollem Selbstmitleid über ihre Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, weinend auf die Couch. Anfangs eher gezwungen, später aber den größten Wasserfällen der Welt gleichend, bis sie Kopfschmerzen bekam. 

Und so kam es, dass eine dürre, blonde, jung aussehende Dame in blauer Jacke und schwarzer Trainingshose am nächsten Morgen um viertel nach neun wackelig die Treppe zu einem Pilatus PC-24 erklomm. Näher betrachtet hätte man dunkle Augenringe und einen angespannten Mund erkennen können, der im Angesicht einer Flugbegleiterin zu einem leichten Lächeln gedrückt wurde.
Zwei Stunden dauerte der Flug und währenddessen sprach niemand mit ihr, was sie aber auch nicht sonderlich störte. Dann, als sie auf der kleinen Insel im Nirgendwo landeten, wurde Helen von einer Gruppe aus drei Männern und zwei Frauen, von denen sie manche streng begutachteten, andere sie aber nett anlächelten, begrüßt. Helen schluckte und stieg mit ihrer großen Umhängetasche langsam die Treppe hinunter. „Es ist eine Ehre, sie zu treffen Miss Braun!“ sagte ein älterer Mann mit großer Brille. „Ich habe einige ihrer Abhandlungen gelesen, sie sind Meisterwerke, ja ja!“ 
Helen schluckte nochmal, bedankte sich mit piepsiger Stimme und spürte, wie sie ein wenig gelassener wurde. Der ältere Herr forderte sie mit der Hand auf, ihm zu folgen und hörte dabei nicht auf zu lächeln. Etwas, was Helen eigentlich gar nicht kannte. 
Hätte sie auf ihre Umgebung geachtet, hätte sie hinter einem Waldgürtel nordöstlich des Landeplatzes die Spitze einer großen Maschine gesehen, die dafür benutzt wird, mithilfe von kontrollierten Explosionen die Erdumlaufbahn zu verlassen, und die unendlichen Weiten unseres Alls zu betreten, aber dafür war sie viel zu nachdenklich. Was würde auf sie zukommen? 
Wofür wurde die fast unsichtbare Helen Braun gebraucht?

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN