Der Unendliche Krieg

Wettbewerbsbeitrag von Yannick Finn Schnitzler, 15 Jahre

Wir liegen neun Kilometer hinter der Front. Jedoch fühlt es sich immer noch so an, als wären wir in den Gräben. Viel zu schrecklich ist das Gefühl, das wir alle in diesem Moment verspüren. Es ist wie Angst, doch es zeigt sich nicht etwa in Form von kurzen Panikattacken oder Schreien. Diese Stimmung ist viel tiefer in unseren Körpern verwurzelt. Langsam schleicht sie durch unsere Lagerstätte und sucht uns in unseren Träumen heim. Manch einer konnte sie nicht mehr ertragen. Gerade erst nahm sich der Staffelführer das Leben. Er war ein stattlicher Mann gewesen. Von zwei Metern Größe und kurzem grauem Haar. Eigentlich der perfekte Soldat, doch das Ganze war ihm dann einfach zu viel geworden. Nur einen ohrenbetäubenden Knall hatte es benötigt und schon war die gesamte Gruppe von über hundert jungen Männern und Frauen auf sich alleine gestellt. Ja, die Angst konnte wahrlich schreckliche Dinge bewirken.
Ich selbst spüre sie die ganze Zeit über. Dann, wenn ich mit meiner geladenen Magma-Waffe in einem der Gräben liege. Oder auch, wenn es mich nachts ins klapprige Feldbett verschlägt. Ich werde sie einfach nicht los. Wie denn auch, immerhin ist sie ein Nebeneffekt dessen, was man uns einflößt, seitdem wir Kinder sind. Klar würde ein hochrangiger Politiker niemals zugeben, dass die ach so starken Klone überhaupt fühlen können, doch wir tun es. Und es ist schrecklich. Denn zwar bringen uns die Medikamente, die sie uns einflößen, tatsächlich ein erhöhtes Pensum an Muskelkraft, jedoch schwächen sie den Geist. Und auch das schnelle Wachsen tut nicht gut. Denn während normale Kinder zwei Jahrzehnte an Zeit besitzen, um sich auf das Leben einzustellen, gibt man uns gerade einmal sechs Monate. Dann müssen wir komplett fit und einsatzfähig sein. Wer es nicht ist, wird „in das unendliche Reich begleitet.“ Eine schönere Formulierung für eiskalten Mord.
Enttäuscht schließe ich die Augen. Schon bald werde ich nicht mehr hier sein. Dann werde ich erst tot im Dreck liegen. Solange, bis man meine Leiche findet. Was dann geschieht, weiß ich gar nicht so genau. Doch wahrscheinlich wird man mich einfach nur in einen großen Mixer werfen, um meine Einzelteile wiederzugewinnen. Ich bin ja nicht gerade ein gutes Modell, bei dem eine Reparatur eine wirtschaftliche Entscheidung wäre. Denn darum geht es ja im Grunde bei diesem unendlichen Krieg. Geld. Die Hersteller der Klone sind einfach zu reich und mächtig. Viele Milliarden verdienen sie im Jahr damit, uns zu produzieren und in den Kampf zu schicken. Und wer zahlt es? Der normale Bürger, für den der Kampf eine ehrenvolle Sache ist. Für Heimat und Vaterland ist diesen Leuten nichts zu teuer. Was sie jedoch nicht wissen ist, dass es sich bei all dem nur um eine Lüge der Kommunisten handelt. Der Konflikt ist komplett sinnlos. So bekämpfen sich die Nachbarplaneten Mars und Erde nun schon seit vielen Jahrzehnten um den Erd-Mond. Eine aussichtslose Schlacht, bei der es keinen echten Gewinner geben kann.
Ich selbst bin für den “roten Riesen" im Einsatz. Seit über einem Jahr liege ich in seinen Reihen und beschieße den Feind. Jedoch kenne ich es gar nicht anders, immerhin tue ich das schon seit meiner Erschaffung. Wie muss es wohl sein, ein normales Leben zu führen? Diese Frage stelle ich mir andauernd. Der Grund, wieso ich das tue ist, dass diese Bestien von Menschen uns nicht nur beibringen, wie man jemanden tötet, sondern auch wie es ist zu fühlen. Warum sie das tun, weiß niemand so genau. Manch einer vermutet, dass sie dadurch einen höheren Einsatz erwünschen. Man kämpft eben verbissener, wenn man an etwas außerhalb des Schlachtfeldes glaubt. Bei mir wirkt das zumindest. Immer wieder wünsche ich mir, heimlich freizukommen. Das ist zwar noch nie jemandem gelungen, doch vielleicht bin ich die Erste?
Ob dieser Gedanke dumm ist? Natürlich, aber er hilft mir jeden Morgen aufzustehen und mich dem Beschuss der Erdlinge zu stellen. Jene Klone, die im Grunde genau das gleiche Schicksal wie wir haben, nur mit dem Unterschied, dass sie das Produkt einer anderen Streitmacht sind. Mit Tränen in den Augen will ich mich gerade ins Bett legen, als ein lautes Dröhnen ertönt. Erst ist es noch leise, doch dann wird es immer geräuschvoller. Es wird sogar so laut an, dass ich es nicht mehr ignorieren kann.
Frustriert richte ich mich auf und schaue raus aus meinem Schlafbehälter. Kurz realisieren meine Augen nicht, was sie da sehen, doch als sie es dann endlich tun, trifft mich der Schlag. Denn da draußen stehen riesige Schiffe. Jene Frachter, die uns hierher brachten und seitdem nicht zurückkehren. Aufgeregt springe ich auf und ziehe mir meinen Weltraumanzug an. Dann öffne ich die Tür und renne raus. Jedoch bin ich nicht die einzige, die die Neuigkeiten mitbekommen hat. Von überall strömen die Klone heraus und schon bald kann man ein Wirrwarr aus Stimmen vernehmen.
Manche behaupten, sie wollen uns nur zu einem anderen Lagerort bringen, während wieder andere gehört haben, dass der Krieg vorbei sei.
Und tatsächlich, wenig später begannen schon die Sirenen. Ein klares Zeichen dafür, dass man in diese Wagen einsteigen sollte. Ich konnte es kaum glauben. Gerade hatte ich noch über meine Existenz geweint und jetzt scheinen sich alle Probleme von selbst zu lösen. Aufgeregt renne ich los und steige über eine gigantische Rampe ein. Aufgeregt höre ich, was die anderen besprechen. Sie haben alle die gleichen zwei Stimmen. Eine für Männer und eine für Frauen. Sie sind genauso überrascht wie ich und freuen sich, endlich wegzukommen. Und da schließen sich schon die Türen. Ganz langsam und mit viel aufgewirbelter Luft. Doch sie gehen tatsächlich zu. Ein lautes Rauschen ertönt und es wird dunkel. Der Krieg ist wirklich vorbei. Endlich. Gerade will ich ebenfalls mit Jubel beginnen, da trifft ein unfassbarer Schlag meinen Körper und ich falle zu Boden. Erschrocken schnappe ich nach Luft, doch meine Lungen versagen. Auch mein Herz hört auf zu schlagen und schon wenig später verliere ich die Fähigkeit zu denken. Das Letzte, was ich mitbekomme, ist die Frage, wie ich nur so dumm gewesen war, dass ich wirklich geglaubt hatte, sie würden uns nach dem Krieg befreien. Wäre es doch viel billiger, uns einfach abzuschalten.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Yannick Finn Schnitzler