Aufbruchstimmung

Wettbewerbsbeitrag von Jan-Lennard Fischer, 19 Jahre

Schwer ließ ich mich auf den Sitz fallen. Einen Moment lang tat ich nichts, außer dazusitzen und die leuchtenden Armaturen zu beobachten.
„Hey“, meinte eine Stimme neben mir, Sairah, meine beste Freundin und Ärztin stand vor der Luke und hielt mir meinen Helm entgegen. „Den hier kannst du nicht hierlassen.“
Schwerfällig drehte ich mich zu ihr herum, mein Raumanzug behinderte meine Bewegungen, doch ich schaffte es mich weit genug zu drehen, dass ich sie ohne Probleme ansehen konnte. Sie sah toll aus, wie eigentlich immer, ihre grünen Augen hoben sich so leuchtend von ihrer dunklen Haut hervor, ihre Haare hatte sie unter einem kompliziert gemusterten Kopftuch zusammengebunden, sie trug eine ansonsten graugrüne Uniform.
Ich nahm den Helm in beide Hände, setze ihn aber noch nicht auf. Wir standen schweigend voreinander. Endlich unterbrach eine Durchsage das Schweigen: „Noch 5 Minuten bis zum Start.“
„Jetzt heißt es Abschied nehmen.“, sagte ich, ich versuchte meine Stimme dabei fest und zuversichtlich klingen zu lassen, obwohl ich mir vor Angst fast in den Raumanzug machte.
„So ist es“, erwiderte Sairah, auch sie versuchte sich die Anspannung nicht anmerken zu lassen, doch man konnte ihre Sorge durchaus heraushören. Ich knuffte sie in den Oberschenkel.
„Hey, es ist ja nicht für immer, irgendwie komme ich schon wieder runter“, versuchte ich sie aufzuheitern und grinste breit.
„Fragt sich nur wie…“, murmelte sie, einen Moment stand Furcht in ihren Augen, dann hatte sie sich wieder im Griff. Ich tat so, als hätte ich sie nicht verstanden und lehnte mich so weit in meinem Pilotenstuhl zurück wie nur möglich.
„Du hast doch heute deine Verabredung, oder?“, versuchte ich das Thema zu wechseln. Ihre Miene hellte sich sofort auf. „Ja, heute Abend.“
„Das ist ja schon in…“, ich sah auf meine Armbanduhr. „In einer Stunde und 13 Minuten.“
Sie nickte. „Bist du sicher, dass ich nicht im Kontrollzentrum bleiben soll? Was, wenn etwas schief geht?“
„Was soll schon schief gehen, die Kapsel ist hundert Mal geprüft worden, und selbst wenn was schiefgeht, dann könnt ihr von unten auch nichts machen.“
Sie nickte erneut und blickte zu Boden.
„Genieß lieber deinen Abend mit...wie hieß er noch gleich?“
„Leonid.“
Natürlich wusste ich seinen Namen, sie hatte mir während meiner Untersuchungen stundenlang von ihm vorgeschwärmt, seit sie in einer Bar mit ihm zusammengestoßen war. Ich kannte ihn, wenn auch nur flüchtig, aber das hatte ich Sairah nicht erzählt, ich kam sowieso nicht zu Wort, wenn sie von ihm anfing. Leonid arbeitete eigentlich in der Treibstoffgewinnungsanlage des Stützpunktes, ein gefährlicher Job, aber er hatte ein über alle Maße fröhliches Gemüt. Ich konnte verstehen, warum Sairah auf ihn stand, er hatte einen etwas dunkleren Teint als ich, blaue, ausdrucksstarke Augen, kurzes schwarzes Haar und immer einen frechen Spruch auf den Lippen.
Erneut hallte eine Durchsage über die Rampe, das Personal wurde angewiesen, die Anlage zu verlassen.
„Viel Glück!“, rief Sairah mir noch zu, dann verschlossen die Techniker die Luke und verließen die Startrampe. Ich war nun allein, sofort verfiel ich in nervöse Unruhe, ich legte den Helm auf meine Knie, nahm ich ihn wieder auf, überprüfte die Knöpfe und Schalter, legte den Helm wieder hin, bis es mir zu bunt wurde und ich ihn endlich aufsetzte. Klackend rasteten die Schlösser ein, ich zog und zerrte noch ein wenig an dem Sicherheitsgurt, den man mir angelegt hatte, dann atmete ich noch einmal tief durch.
Der Moment war da, so lange hatten wie hart gearbeitet, hatten massenhaft Überstunden geschoben und die Nächte durchgemacht, nur für diesen Moment. Den ersten Flug ins All. Die Aufregung war seit heute Morgen schon spürbar gewesen, überall, in der Kantine, in den Labors, in den Kneipen der kleinen Stadt, die man extra nur für das Raumfahrtprogramm gebaut hatte.
Es knackte im Funkgerät, eine quäckende Stimme meldete sich, es war der leitende Kommunikationstechniker Wiesengrund.
„Alles klar da oben?“, fragte er, auch aus seiner Stimme konnte ich die Anspannung heraushören, also versuchte ich, mich locker zu geben, ich wusste, dass man mich wahrscheinlich im ganzen Kontrollzentrum hören konnte. „Klar, aber noch bin ich nicht oben.“
Im Hintergrund lachte jemand.
„Na gut, dann halt dich fest, denn gleich geht es los. Alles gecheckt?“, meldete sich Wiesengrund.
„Hunderte Male“, erwiderte ich, mittlerweile hätte ich die Rakete im Schlaf starten können.
„Dann aufgepasst! 20 Sekunden!“

Er begann zu zählen.

„10.“

Mir brach der Schweiß aus.

„9.“

Mein Herz begann zu rasen.

„8.“

Mir wurde schwindelig und ich kniff die Augen zu, um das Gefühl zu vertreiben.

„7.“

Das machte es nicht besser. Ich machte die Augen wieder auf, doch auf einmal kam mir die Kapsel viel zu eng vor, ich verspürte das Verlangen, aufzuspringen und wegzulaufen.

„6. Ventile auf!“

Ich starrte aus dem kleinen Bullaugenfenster nach draußen, bläuliche Flammen züngelten über die Außenhaut des Raumschiffes.

„5!“

Ich begann hektisch zu atmen.

„4!“

Ich hielt den Atem an, um meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen.

„3! Zündung“

Mit einem Grollen zündeten die Triebwerke.

„2!“

Nun gab es kein Zurück mehr.

„1!“

Mit einem Mal wurde es ganz ruhig, mein Atem flachte ab, wie durch eine Decke hörte ich Wiesengrunds Stimme:

„Start!!!“

Ich wurde tief in den Sitz gepresst. Das Blut wich aus meinem Gesicht, der Druck in meinem Körper wuchs mit einem Mal auf das Zehnfache an, zwar hatte ich die G-Kräfte schon im Simulator aushalten müssen, aber verglichen mit der Wirklichkeit war das hier etwas völlig anderes.
Mein Sichtfeld verengte sich zunehmend, bald konnte ich die Umrisse der Kapsel nur noch durch einen roten Schleier erkennen, Stimmen aus dem Funk riefen wild durcheinander, müde dachte ich: Das war’s. Jetzt stürz’ ich ab. Innerlich bereitete ich mich auf den Aufprall vor, doch stattdessen vernahm ich das laute Klacken der ersten Raketenstufe, die sich vom Raumschiff löste und wieder zur Erde zurücktrudelte, das Brausen verstummte, bis Sekunden später die zweite Stufe einsetzte und ich erneut tief in den Sitz gepresst wurde. Dann, wie auf Kommando, ließ der Druck plötzlich nach, benommen wandte ich den Kopf zum Fenster und sah tief unter mir: Die Erde.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Jan-Lennard Fischer