Eine tukkische Situation

Wettbewerbsbeitrag von L.M.G., 14 Jahre

Laila schreckte hoch. Irgendetwas hatte sie geweckt. Oder hatte sie geträumt? Nein, da war es wieder, ein dumpfer, zischender Ton, der schnell an Lautstärke gewann. Dann plötzlich drang ein anderer Laut an ihr Ohr, schrill und durchdringend. Er durchschnitt das erste Geräusch, wie ein Pfeil die Luft. Der Alarm! Innerhalb von Sekunden hatte ihr Gehirn von einem halb schlafenden Zustand zu hellwach gewechselt. Sie fuhr von ihrem Schlaf-Ast hoch und sprang mit einem geübten Satz auf die Beine. Bei dem hohlen Aufprall ihrer Flossen auf dem Boden schreckte auch ihr Astnachbar Mino hoch und machte eine unvorbereitete Rückwärtsrolle. Laut schimpfend sprang auch er etwas ungelenk auf die Beine, doch als er begriff, dass es sich aufgrund des Alarms um einen Notfall handeln musste, begann er, nervös auf der Stelle zu zappeln. „Was ist hier denn los?“, winselte er. „Ich habe keine Ahnung“, stellte Laila fest. „Ich bin von einem leisen Geräusch aufgewacht. Mittlerweile ist es lauter geworden. Das wird mir langsam ein bisschen unheimlich.“ Tatsächlich hatte das Geräusch abermals an Lautstärke gewonnen. Es schwoll regelrecht zu einem Getöse an, als wolle es dem Alarm, der immer noch hoch und schrill in ihren Ohren dröhnte, Konkurrenz machen.

Mittlerweile waren Laila und Mino bei einer Wasserstraße angekommen und sprangen kurzerhand hinein. Mit ihren
Schwimmflossen kamen sie im Wasser wesentlich besser voran als an Land. In der Wasserstraße herrschte panisches Gedränge. Anscheinend wollte der gesamte Planet Tuk wissen, woher dieses seltsame Rumoren kam. Eigentlich waren die Juminas, die Bewohner des Tuk, an seltsame Geräusche zu jeder Uhrzeit gewöhnt, da es öfter mal vorkam, dass Meteoriten oder andere Gesteinsgeschosse aus dem All ihren Planeten nur haarscharf verfehlten, doch dieses Mal war es etwas anderes. Man konnte es spüren. Je lauter das Getöse wurde, desto mehr fing der Boden an zu vibrieren.

Manche Juminas fingen an, ängstlich zu wimmern, denn so etwas wie Erdbeben kannten sie nicht. Dafür war ihr Planet wahrscheinlich viel zu klein. Um genau zu sein so klein, dass er direkt hinter den Mars passte. Niemand wusste so recht, ob man den Tuk aufgrund seiner Größe überhaupt als Planeten bezeichnen konnte, doch da er weder so kantig
war wie ein Meteorit noch so leuchtend wie ein Stern, hatten sich die Juminas auf Grund dieser Fakten am Ende wohl doch auf diese Bezeichnung geeinigt. Auf einmal sah Laila etwas, was sie noch nie zuvor gesehen hatte. Es hatte eine längliche Form und bewegte sich auf den Tuk zu.
Allerdings hatte es Kurs auf die Nordseite des Tuks genommen, welche zum Glück unbewohnt war. Außerdem loderte unter ihm etwas Rotes auf und Laila hatte von einer Sekunde auf die andere das Gefühl, dass die Temperaturen unnormal schnell stiegen, denn so warm war es auf dem Tuk bisher noch nie gewesen. Das Geschoss war mittlerweile auf die doppelte Größe angeschwollen und bewegte sich mit immer höherer Geschwindigkeit auf den Tuk zu. Inzwischen kroch in Laila auch noch ein anderes Gefühl auf, welches nichts mit Hitze zu tun hatte. Angst. Sie griff mit eiskalter Hand nach ihr und sorgte dafür, dass Laila trotz der Hitze, welche sich unangenehm schnell in ihr ausbreitete, Gänsehaut bekam. Dann plötzlich wendete das Geschoss und zielte nun mit seiner länglichen Nase exakt auf die Juminas, welche versucht hatten, sich zusammengedrängt in den toten Winkel, also immer weiter in die südliche Hälfte des Tuks zu zwängen. Doch als sie sahen, was die Situation für eine schaurige Wendung nahm, brach Panik unter ihnen aus. Alle Juminas flohen in verschiedene Richtungen.

Nicht so Laila, welche vor Schreck wie gelähmt dastand. Ihr Atem ging stoßweise und sie hatte das Gefühl,
alles in ihr bräche zusammen. War das hier das Ende des Tuk, das Ende der Juminas, ihr Ende? Von einem Moment auf den Nächsten rempelte sie jemand von hinten an und sie erwachte aus ihrer Starre. Grade als sie mit den anderen Juminas fliehen wollte, fiel ihr etwas auf: Wo war eigentlich Mino? Sie hatte ihn, seit das Chaos hier losgebrochen war, nicht mehr gesehen. Kurzerhand machte sie eine energische Handbewegung, als wolle sie ihre Angst, die sie dazu
zwingen wollte, mit abzuhauen, einfach wegwischen, und sie rannte, so schnell es ihre Flossen ihr ermöglichten, zurück zu ihrem vorherigen Standort. Und da sah sie ihn. Er lag, Hände und Flossen von sich gestreckt, auf dem Boden und schien ohnmächtig zu sein. Vielleicht war er bei seiner Flucht von den anderen Juminas umgerannt worden und hatte sich den Kopf angestoßen? „Mino!“, schrie Laila durch den nun noch kaum aushaltbaren Lärm des Geschosses
hindurch. Doch er reagierte nicht. Sie musste zu ihm. Er lag an genau der Stelle, wo das Flugobjekt in wenigen Sekunden landen würde! Und da traf sie eine Entscheidung. Sie handelte einfach aus dem Bauch heraus. Ihre Beine setzten sich wie in Trance von selbst in Bewegung. Sie wollte zu Mino, ihn retten, um ihn vor einem schrecklichen und heißen Tod zu bewahren. Auf einmal war ihre Angst wie weggeblasen, es war, als befehle ihr Körper ihr, so zu handeln. Schon war sie bei Mino angekommen. Sein Gesicht war rot und heiß, doch seine Hände waren eiskalt.
„Mino, bitte wach auf“, flehte sie, doch er rührte sich nicht.

Das Fluggeschoss war jetzt fast über ihnen. Laila hatte das Gefühl zu zerfließen, solch eine Hitze ging von dem unteren Teil der Maschine aus. Doch weglaufen kam für sie nicht in Frage. Hastig zog sie Mino hoch, hievte ihn
sich auf den Rücken und sprintete los. Sie rannte, so schnell sie ihre Beine trugen. Ihr blieben nur noch wenige Sekunden. Mino schien mit jeder Sekunde schwerer zu werden, ihre Lunge und ihre Kiemen fühlten sich an, als wollten sie im nächsten Moment zerplatzen, doch sie rannte weiter. Dann gab es einen ohrenbetäubenden Lärm und das Fluggeschoss setzte auf. Laila wurde von einem enormen Luftschub zurückgeworfen und knallte im nächsten Moment hart
auf den steinigen Untergrund. Sie spürte nur noch, wie Mino knapp neben ihr landete, und dann wurde ihr schwarz vor Augen.

Laila erwachte von einem Scheppern. Es war laut und regelmäßig. Sie hielt die Augen geschlossen und bohrte sich ihre Finger in die Ohren. Sie wollte nicht aufwachen. Sie wollte weiter hier liegen, so friedlich, so unbeschwert... Stopp! Plötzlich fiel ihr alles wieder ein! Das Fluggeschoss, die Hitze, Mino! Wo war er? Jetzt zwang sie sich, ihre Augen zu öffnen, und stieß gleich darauf vor Schreck einen spitzen Schrei aus. Keine fünf Meter vor ihr stand eine sehr robust wirkende Flugmaschine, die den vielen Dellen nach schon irgendwo gelandet war. So schief, wie sie im Boden steckte, hatte sie jetzt wohl ein paar Dellen hinzubekommen. Am oberen Teil war eine Tür eingebaut, von welcher das Geräusch zu kommen schien. Jemand hämmerte von innen gegen die Tür! In diesem Moment vernahm sie hinter sich ein leises Stöhnen. Mino! Sie drehte sich um und nahm seine Hand, welche, genau wie sein Gesicht, wieder eine normale Temperatur zu haben schien, und flüsterte: „Wie geht es dir?“ Er neigte den Kopf leicht zur Seite und grinste sie verschmitzt an. Erleichtert grinste sie zurück. Mino, der die Flugmaschine erst jetzt bemerkte, gab einen höchst merkwürdigen Laut von sich und glotzte das Fluggerät mit weit aufgerissenen Augen an. „Oh!“, war das Einzige, was ihm dazu einfiel.

Beide blickten gebannt auf die Tür, die nicht mehr lange standhalten würde. Zitternd griff Mino nach Lailas Hand. Egal, was da rauskam, sie würden es zusammen überstehen. Dann gab es einen lauten Krach und die Tür des Fluggeschosses gab nach. Langsam öffnete sie sich, und hinter ihr stand ein Wesen. Es war klein, dick und knollennasig. Außerdem prangten in seinem Gesicht unzählige seltsame Knubbel. Das Seltsamste war jedoch: Ein freundliches, neugieriges Lächeln lag auf seinem Gesicht, welches die kriechende Angst in Lailas Innerem verscheuchte, wie eine Katze den Hund. Im nächsten Moment wendete das Wesen seinen Kopf und ihre Blicke
trafen sich.
Dies ist zwar das Ende dieser Geschichte, doch der Anfang eines langen Bündnisses zwischen
den Juminas und den Wutzelgnomen.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

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