Endliche Weiten

Wettbewerbsbeitrag von Emma Boloto Reuter, 17 Jahre

Ein epischer Tag für die Raumfahrt, ein noch epischerer Tag für mich selbst.
Ich zupfte mir ein paar Haare aus meinem Pferdeschwanz und verlor mich einen Moment lang in meinem eigenen Spiegelbild, wie es mich so aufgeregt und strahlend anblickte, wissend, dass irgendwo darin das kleine Mädchen war, das mit großen glänzenden Kulleraugen in den Himmel geblickt und seinem Vater lange nach der Bettzeit noch von Galaxien und Planeten vorgeschwärmt hatte.
Das kleine Mädchen, das nun eine junge Frau war.
Die junge Frau, die als erste von allen dort hinaus fliegen sollte; weiter noch, als je ein Mensch es getan hatte.
Ich wusste, dass mir nur noch ein paar Momente der Ruhe blieben, bevor ich die Tür dieses kleinen Damenklos am Rande des Raketenstartplatzes verließ und mich ein Trubel von Menschen erwartete: erst diejenigen, die ich kannte; mit denen ich mich schon so lange auf diese Mission vorbereitet hatte und die mich auch jetzt auf meinem Weg in die Rakete begleiten würden. Dann, draußen, wartete die Menge: Zuschauer, Journalisten und Reporter und, wie ich es mir am allermeisten erhoffte, vielleicht ein paar kleine Mädchen mit Kulleraugen, wie ich einst eines gewesen war.
Das alles zog unerwartet schnell an mir vorbei. In meiner Aufregung verschwammen die Gesichter der Leute, die jeden Schritt von mir zu beobachten schienen, den ich die Rampe zur Rakete hochstieg.
Ihre Stimmen waren wie ein fernes Gewitter, dessen prasselndes Geräusch ich zwar hörte, jedoch nicht richtig aufnehmen konnte.
In meinem Kopf explodierten die Gedanken; ein Feuerwerk aus Aufregung, Wissensdurst, Abenteuerlust und einem kleinen bisschen Angst, das wie ein kleiner Knoten in meinem Hals lag und das nur dadurch an seiner Ausbreitung gehindert wurde, dass ich in diesem Moment eine ganz bestimmte Person aus der Menge herausstechen sehen konnte.
Papa.
Da stand er, lächelte mir sanft zu und winkte.
Dann schloss sich die dicke Raketentür hinter mir und das Schnattern der Menschenmenge wich dem brummenden Geräusch von Maschinen.
Ich nahm Platz, wie ich es so oft in den letzten Monaten geübt hatte.
Der Moment war gekommen.
Ein leises Gemurmel aus Richtung des Armaturenbretts gab mir die Gewissheit, dass dort unten Leute waren, die auf mich achten würden, während ich dort ganz allein im All war.
Und schließlich ertönte, dumpf wie durch eine Röhre, der lang ersehnte Countdown.
Zehn… Neun… Acht…
Die kribbelnde Erwartung breitete sich in jeder Faser meines Körpers aus, als ich durch das Frontfenster auf in den Himmel blickte, dem ich bald so nahe sein würde.
Sieben… Sechs… Fünf…
Mein inneres Kind quietschte vor Vorfreude.
Vier… Drei… Zwei… Eins…
War Papa stolz auf mich?
Null!
Und ich spürte, wie es mich tief in den Sitz drückte, als der so weit entfernte Himmel in rasender Geschwindigkeit auf mich zuschoss.
Größer und größer wurden die Sterne, nach denen zu greifen mein Leben lang mein Traum gewesen war.
Wolkenfetzen flogen an mir vorbei; verschwanden hinter mir in der Ferne wie blasse wabernde Gespenster.
Den Erdboden hinter mir konnte ich aus meiner Position nicht sehen; mir blieb nur der Blick voran, voran in die unendliche Schwärze des Universums, wie sie sich nun vor mir auftat, fremdartig und doch vertraut.
Ein Déjà-vu. Eine Traumgestalt.
Es war, als würde es mich nun, nachdem ich so viele Jahre in seine Unergründlichkeit hinaufgeblickt hatte, willkommen heißen; die Arme nach mir ausstrecken, wie eine Mutter nach ihrem lange verlorenen Kind.
Und doch war ich nur eine Fremde hier und das wusste ich.
Eine Fremde, die nun selbst von den Motoren der Rakete, dem Echo der Menschheit hier oben, verlassen wurde.
Stille breitete sich aus.
Eine tiefe und ausgedehnte Stille, nur unterbrochen von einem leisen Piepen am Armaturenbrett und den Stimmen der Leute auf der Erde, deren freudige Stimmen mir verrieten, dass ich nun die Atmosphäre unseres Planeten verlassen hatte.
Ich konnte ein leises Grinsen nicht verbergen, als ich meinen Blick aus dem Cockpit schweifen ließ.
Mein Herz pumpte vor Aufregung nun endlich Segel setzen zu können auf diesem schwarz-glitzernden Ozean und seine Inseln zu erkunden, jede für sich so einzigartig, dass man sie gar nicht alle unter einem Begriff zusammenfassen könnte.
Planeten.
Etwas, das stets so weit weg gewesen war und auf das ich mich nun, wie ich wusste, mit einer rasenden Geschwindigkeit zu bewegte.
Stern um Stern schien an mir vorbeizuziehen, so schnell, dass es aussah, als würde irgendjemand oder irgendetwas kleine gelbe Streifen auf den dunklen Hintergrund malen.
Streifen, die um mein Blickfeld tanzten, die ein Rohr bildeten, dass mich scheinbar vor der Schwärze des Nichts abschirmte.
Weiter und immer weiter.
Frei.
Immer wandelnd. Zu auf das, was dort wartete.
Unaufhaltbar.
Unaufhaltbar?
Ja. In der Tat unaufhaltbar, wie ich in einem Moment des Schreckens erkennen musste.
Große Teile des bunt beleuchteten Armaturenbrettes färbten sich plötzlich grau, als hätte jemand einen Schwarz-Weiß-Filter darauf gelegt.
Ich hörte das Gemurmel meiner Kollegen auf der Erde, das nun keinesfalls mehr freudig war.
Panik schwang in ihren Stimmen mit, mühsam unterdrückt in einem Versuch, mich nicht zu schockieren.
Doch ich konnte sie nicht hören.
Zu oft war ich die möglichen Szenarien durchgegangen; hatte die Gefahren rauf und runter gelernt; ich wusste, dass es ein Problem gab.
Die Stimmen wurden vom Wirbelsturm meiner Gedanken zu unverständlichen Lauten gedämmt, während sich ein anderes Geräusch laut und unausblendbar in meine Ohren presste:
Das piepende Tönen des Planetensonars.
Mit Schrecken in den Augen sah ich, dass vor mir in der eben noch so hochgelobten Weite des Alls nun eine kreisförmige Silhouette zum Vorschein kam.
Mein Herz sprang zum Zerbersten in meiner Brust, während ich verzweifelt versuchte, die Steuerung zur Seite zu reißen.
Nichts bewegte sich. Und ich bewegte mich viel zu schnell auf den nahenden Planeten zu.
Die Stimmen von der Erde wurden lauter. Panischer.
Meine Hände klammerten sich in eiskalter Angst an die Lehnen meines Sitzes.
Ich getraute mich nicht zu schreien.
Es hätte mich eh niemand gehört, denn das Mikrofon löste sich gerade mit einem zischenden Knall aus dem Armaturenbrett.
So flog ich still auf den Planeten zu, geradezu surreal still in einem Desaster wie diesem.
Einen Moment gab es nur mich, die Stille und das All.
Und dann zerbarst die Welt in rote Splitter; wirbelte in unbändiger Macht um mich herum; zerschellte auf dem grauen Staub des fremden Planeten.
Die Hände des Weltraums hießen mich willkommen, umklammerten mit eiskalten Fingern mein angstpochendes Herz.
Und während sie mich hinabzogen in die Tiefe, hörte ich dumpf die Stimme meines Vaters durch die Lautsprecher schallen.
Er schrie; dort unten; so weit weg, während hier oben die großen Kulleraugen, die er so gut gekannt hatte, ihren Glanz verloren und ich in den Tiefen des Sternenmeers ertrank.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Emma Boloto Reuter