Den Sternen nicht näher

Wettbewerbsbeitrag von Joules L., 18 Jahre

Wenn es etwas gab, nur eine Sache, die ich immer geliebt habe, dann war es der Raum, der mich umgab. Die Vorstellung, dass da etwas war, um mich, größer als ich, ein Raum in dem ich existierte, der mich behütete, der mir ein Zuhause war, ein Raum, der mich umgab. Ein Universum, das alles umspannte, was ich je gekannt hatte, als Kind und jetzt, ein Universum, das ich erkundete, erlernte, ein Universum, das ich liebte, ein Raum, der mich umgab.

Wenn es etwas gab, nur eine Sache, die ich später werden wollte, dann war es Astronautin, Weltenerkunderin, Sternenforscherin. Mit sechs Jahren stieg ich im Winter den höchsten Turm des Klettergerüsts auf dem Spielplatz bei uns um die Ecke hinauf und krallte mich mit kleinen Händen an den in das Holz eingelassenen Seilen fest, die sich in meine weiche Kinderhaut gruben und ich war der Überzeugung, dass ich den Sternen nicht näher sein konnte, als ich es in diesem Augenblick war. In diesem Augenblick, auf dem höchsten Turm des Klettergerüsts auf dem Spielplatz bei uns um die Ecke. In diesem Augenblick, aber nicht in dem Augenblick danach, denn als ich so fasziniert in die Winternacht und ihre Sterne starrte, lösten sich meine kleinen Hände von den Seilen und ich fiel in die Tiefe und nicht wenig später voller Erschöpfung und mit zwei verstauchten Knöcheln und einem gebrochenen Arm in ein Krankenhausbett.

Aber wenn es etwas gab, nur eine Sache, die den Schmerz und das wochenlange Gips-tragen wieder wettmachte, dann, dass ich, nur für einen kurzen Augenblick, den Sternen näher gewesen war als sonst und dass ich das Universum und den Raum besser kennenlernte, den Raum der mich umgab.

Und doch war da noch etwas. Denn wenn es etwas gab, nur eine Sache, die mir Angst machte, schon damals als Kind, dann war es die Frage danach, was dahinter kam. Nach dem Universum. Meine Mutter erzählte mir einmal, dass das Universum größer wurde, stetig und seit seiner Entstehung und mein Vater erklärte weiter, dass dahinter das Nichts lag. „Wie Nichts?“, erinnere ich mein zehnjäriges Ich fragen. Wie Nichts? Wie sollte sich denn ein Raum, ein Universum vergrößern, wenn es sich in Nichts hinein vergrößerte? Konnte sich etwas in etwas hineinvergrößern, wenn letzteres Etwas nichts und somit nicht einmal ein Raum war? Und wäre da Nichts, dann wäre da ja doch etwas, nämlich Nichts und auch dieses Nichts würde doch durch einen Raum umfasst und dann wäre da ja Raum und nicht Nichts? Und nur für den Fall, dass da ein Raum war, der nichts beinhaltete, dann beinhaltete dieses Nichts doch wiederum ebenfalls einen Raum, nämlich unser Universum und somit war das Nichts doch nicht Nichts? Und sprachen wir denn nicht vorrangig dann von Nichts, wenn wir die Abwesenheit von etwas darstellten, in etwa derer von Materie, die wiederum das Universum ist? Und bedeutete das nicht, dass die Abwesenheit von Materie einfach nur Leere bedeutete? Konnte aber ein Raum leer und zugleich nichts sein? Konnte besagtes Nichts dann überhaupt existieren? Diese Fragen zerbrachen mir den Kopf und diese Fragen machten mir Angst, weil ich es mochte, meinen Raum zu kennen, den Raum, der mich umgab. Ich erforschte gerne, ich kannte gerne, ich mochte, dass sich der Raum, den ich kannte, vergrößerte, der Raum, der mich umgab. Aber nicht zu wissen, was dahinter kam, machte mir Angst. Zu wissen, dass es etwas gab, das die Leute Nichts nannten, dass aber rein logisch nicht existieren konnte, machte mir Angst.

Und das tut es heute noch.
Ich weiß nicht, was danach kommt.
Ich kenne nur mein Universum, meinen Raum, den Raum, der mich umgibt.
Ich habe erforscht, ich habe erkannt und erkundet und mein Raum hat sich vergrößert mit jedem Schritt, den ich getan habe.

Jetzt bin ich erwachsen oder zumindest auf dem Papier und es fühlt sich ein bisschen so an, als wäre ich imstande, den wachsenden Raum meiner Kindheit zu verlassen, auch wenn ich nicht weiß, was danach kommt.

Doch meine Ängste aus der Zeit meines fragenden zehnjährigen Ichs, haben mir gezeigt, dass es eigentlich immer weiter geht, auch wenn man nicht weiß, was nach dem kommt, das man bereits kennt, was hinter dem Raum ist, der einen lange umgeben hat. Mein zehnjähriges Ich nimmt mir heute noch meine Angst, wenn ich mich sorge, dass ich nicht weiß, was mich erwartet und dass das, was vor mir liegt genauso gut Nichts sein könnte, weil ich ohnehin nicht weiß, was es ist. Aber Ich sechs Jahre und Ich zehn Jahre sprechen mir Mut zu, denn wir wissen, dass so etwas wie das Nichts eigentlich gar nicht existieren kann.

Alle Infos

Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Joules L., 18 Jahre