Laycas Empfehlung

Wettbewerbsbeitrag von Florian Ellenberger, 26 Jahre

Sie machte einen Schritt und verließ ihr Zuhause. Es fiel ihr schwer, die Augen zu öffnen. Die Angst lähmte sie, denn was sie sehen würde, hatte noch keiner vor ihr gesehen. Aus der Dunkelheit ins Licht zu treten, konnte schwieriger sein, als mit geschlossenen Augen zu leben. Drei Atemzüge brauchte sie, um sich zu überwinden. Ihre Augenlider öffneten sich wie die Luken ihres Schiffs. Vor ihr breitete sich eine neue Welt aus. Eine Welt aus Sand und Wasser. Sie befand sich auf einem gigantischen Strand, der sich bis zum Horizont erstreckte. Sie hatte ihn bereits vom Orbit aus gesehen: Einen dunkelbraunen Streifen, der sich um den Planeten zog wie ein Ring. Er trennte zwei gigantische Wasserflächen voneinander, die ihr Bordcomputer Layca als Primus und Secundus bezeichnet hatte. Zwei Ozeane, ewig durch eine Grenze aus Titan und Sand getrennt. Doch es verbarg sich mehr hinter diesem Ring. Layca hatte sie nicht ohne Grund auf diesen Planeten geführt. Sie warf eine Sonde in die salzige Luft. Die schimmernde Kugel schwebte knapp fünf Meter über ihr und kehrte nach drei Minuten in ihre Handfläche zurück. Mit wenigen Blicken las sie die gesammelten Daten aus. Die Anomalie, die Layca entdeckt hatte, befand sich einige hundert Meter vor ihr. Langsam setzte sie sich in Bewegung. Die Gravitation war schwach und es schien beinahe windstill zu sein. Das Wasser bewegte sich nicht wie Meere auf der Erde. Es gab keine Wellen, sondern nur gallertartige Hügel, die sich langsam hoben und senkten. Sie machte einen weiteren Schritt. Sandkörner wirbelten unter ihrem Stiefel auf und bildeten einen Ring. Sie hörte sie wie Kiesel gegen ihre Rüstung schlagen. Je schneller sie über den Strand lief, desto größer wurde die Wolke, die sie hinter sich herzog.

Als sie die Anomalie erreichte, stürzten die Sandkörner zu Boden. Sie spürte, wie ihre Glieder schwerer wurden. Vor ihr schwebte eine Kugel mit einer unerklärlichen Anziehungskraft. Ihre Oberfläche war violett und verschluckte das Licht. Wie beim Planet trennte ein Ring die Kugel in zwei Hälften. Das Universum schien sich in seinen Windungen zu spiegeln. „Eine direkte Interaktion mit der Anomalie wird nicht empfohlen, Yuko.“ Die warme Stimme des Computers riss Yuko aus ihrer Trance. Sie zog die Hand zurück, die sich bereits auf halbem Weg zur Kugel befunden hatte. „Warum nicht?“, fragte sie und warf einen Blick auf die Sensoren. „Es scheint eine direkte Verbindung zum Planetenring zu bestehen.“ Yuko warf einen Blick über die Schulter. „Zu welchem Teil des Rings?“ Die beiden Sonnen ging langsam unter und am Himmel funkelten die ersten Sterne. „Zum gesamten Ring, Yuko.“ Überrascht drehte sich Yuko zur Kugel um. Sie respektierte Layca, doch dieser Planet war aufgrund einzigartiger Parameter ausgewählt worden. Sie war nicht Lichtjahre gereist, um die Anomalie zu ignorieren.

„Empfehlung zur Kenntnis genommen, Layca.“ Sie näherte sich und musterte die Oberfläche der Kugel. Sie wölbte sich ebenso wie die Ozeane. Der Ring dagegen verfügte über eine Struktur, die an Sand erinnerte. Es brauchte wieder drei Atemzüge, bis sie den Mut fand, die Kugel zu berühren. Zunächst passierte nichts. Yuko zog beinahe enttäuscht ihren Arm zurück. Doch dann erfüllte ein seltsames Vibrieren die Luft. Ein fernes Donnergrollen ertönte und als Yuko nach Westen blickte, bäumte sich vor ihren Augen eine gigantische Welle auf. Sie ragte kilometerhoch in den Himmel und zog sich über den Horizont wie ein Gebirge. Langsam rollte sie auf Yuko zu. „Aufprall in 37 Minuten und 43 Sekunden. Rückkehr zum Schiff wird empfohlen.“ Yuko atmete tief ein. „Empfehlung zur Kenntnis genommen, Layca.“ Sie hatte nun verstanden, dass es sich bei der Kugel um eine Kontrollmatrix für den Planeten handelte. Dafür musste es einen Grund geben, den Layca ihr verschwieg. Vorsichtig griff sie an den Ring. Wieder spürte sie ein Vibrieren, doch diesmal war es der Sand, der zitterte. Drei Atemzüge. Yuko schloss die Augen und drehte den Ring. Der Boden unter ihren Füßen setzte sich in Bewegung. Sie blickte erneut nach Westen und stellte erleichtert fest, dass sich die Welle von ihr entfernte. „Aufprall verhindert. Glückwunsch, Yuko.“ Plötzlich ertönte ein Alarmsignal. „Statusbericht, Layca.“ „Strukturelle Integrität des Planeten gefährdet. Weitere Manipulation der Anomalie wird nicht empfohlen.“ Yuko warf einen Blick auf ihre Instrumente. Sie konnte den Daten zunächst kaum glauben. Die beiden Hälften des Planeten hatten sich voneinander entfernt. Gleichzeitig schien sich weder die Atmosphäre noch die Gravitation verändert zu haben. Yuko ignorierte die Warnung ihres Computers und setzte den Ring weiter in Bewegung, bis sie schließlich sehen konnte, wie sich Primus und ein Teil des Strands von ihr entfernten. Der Planet bestand aus zwei Hälften, die mithilfe der Matrix voneinander getrennt werden konnten. Der Ring schien als Drehverschluss zu fungieren. Yuko bediente die Kugel so lange, bis sich neben ihr ein knapp fünfzig Meter breiter Graben aufgetan hatte. „Layca, Analyse.“ Vorsichtig lief Yuko auf die Grenze zu, bis sie schließlich sehen konnte, was sich zwischen den beiden Hälften befand. „Ich registriere Gravitationsfelder, kosmischen Staub und verschiedene Gase. Der Planet scheint als Kokon zu dienen.“ Yuko stand atemlos am Rand des Strands und starrte in den Abgrund hinab, der weder Anfang noch Ende hatte. Der gesamte Planet hatte sich geteilt, doch in seinem Inneren befand sich kein flüssiges Magma oder ein Kern. Sie wagte es kaum, Layca zu fragen, doch sie musste es von einem Computer hören, um es zu glauben. „Ein Kokon wofür?“ Nach Sekunden der Stille antwortete Layca schließlich: „Für ein Universum. Rückkehr zum Schiff wird empfohlen.“ Plötzlich setzte sich der Ring wieder in Bewegung. Der Planetenkokon schloss sich wieder. Yuko eilte zur Kugel, doch es gelang ihr nicht, die Matrix erneut zu manipulieren. Sie hatte ein Universum entdeckt und es ebenso schnell wieder verloren. Ihr blieben nur Sand und Wasser. Und Laycas Empfehlung.

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Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

Die Über All Jury

Teilnahmebedingungen

Preise - Das gibt es zu gewinnen!

Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Florian Ellenberger