Eisprinzessin  - Teil 2

von Janka Katharina Hardenacke

© Foto "Eisrose" von phlug; Quelle: photocase.de

Man hat keine Wahl. Hinter mir war der Direktor. Und vor mit tat sich die Tür mit einem Ruck auf. „Oh...“, stammelte ein Mädchen. „Ich... also...ich wollte nur aufs Klo.“ Sie zischte an mir vorbei, doch die Klasse war auf mich aufmerksam geworden. Neugierig schauten alle zur Tür. Instinktiv ging ich einen Schritt zurück und prallte gegen den Direktor. Meine Knie bebten und der Fußboden schien nicht mehr länger aus Laminat, sondern aus Wackelpudding zu bestehen. Ein Mann kam auf mich zu. Das musste Herr Gärtner sein. Er starrte mich an. Ich guckte auf den Boden und dann wieder zu dem jungen Lehrer. Immer noch ruhten seine Augen auf mir. Dieser Mann starrte, als hätte er eine Fata Morgana oder einen Geist gesehen. Geist war ja irgendwie passend. Herr Gärtner blinzelte und lächelte. „Hallo“, brachte er mit einer samtigen Stimme hervor. Nervös zupfte er an der Kaurimuschel, die um seinen Hals hing. Er sah gar nicht aus wie ein Lehrer, sondern hätte gut O.C. California entschlüpfen können mit seiner blonden Surfertolle und dem blauen Billabong T-Shirt. „Wir haben dich schon erwartet.“

Die Klasse war mucksmäuschenstill. Auch sie hatte bemerkt, dass etwas nicht stimmte mit ihrem Lehrer. Doch dieser schaute wieder ganz normal, soweit ich das beurteilen konnte. Er wies mir einen Platz zu. Die „Erzähl-doch-mal-was-über-dich“- Geschichte ließ er aus und ich war ihm dankbar dafür.

Der Weg zu meinem Platz schien mir unendlich weit. Augen, überall sah ich Augen, wie sie mich anstarrten. Endlich konnte ich mich hinsetzten. Der Unterricht zog vorüber wie ein Bienenschwarm und am Ende der Stunde konnte ich mich nicht mehr an ein einziges Wort erinnern. Der Lehrer schien Verständnis zu haben und lächelte mir beim Hinausgehen aufmunternd zu.

Auf dem Flur strömten die anderen an mir vorbei zur Sporthalle. Ich folgte ihnen mit Sicherheitsabstand. Wahrscheinlich redeten sie schon über mich. Ja, da war ich mir ganz sicher! „Hast du ihre Augen gesehen?- Total widerlich, nicht wahr?“ „Meinst du die färbt weiß ab?“ So oder so ähnlich würden sie sprechen und dabei ihre Augenbrauen hoch ziehen. Ich war tief in Gedanken, als ich hinter mir ein Räuspern hörte. Herr Gärtner war die ganze Zeit hinter mir gewesen.

„Ich dachte, ich komme eben mit in die Sporthalle. Damit ich unserer Referendarin über den Neuzugang berichten kann.“ Er lächelte mir zu. „Und ich kann mir vorstellen, dass man sich am ersten Tag an einer neuen Schule ziemlich verloren vorkommt, da wollte ich dir Rückendeckung geben.“ Eine wirklich nette Geste. Trotzdem hatte ich ein flaues Gefühl im Magen. Wahrscheinlich kam das davon, dass ich morgens nichts gegessen hatte. In der Halle angekommen, ging ich Herrn Gärtner hinterher, der auf eine junge Frau in Sportkleidung zusteuerte. „Hallo Karoline!“, sagte er. Sie erwiderte seinen Gruß nicht, sondern blickte ihn, dann mich und dann wieder ihn an und verlagerte ihr Gewicht auf das andere Bein. Der junge Lehrer redete unbeirrt fort. Als er ihr erklärt hatte, wer ich war und was ich hier machte, nickte sie bloß. Es zwickte in meinem Nacken. Das Ziehen im Bauch war auch stärker geworden. Es lag etwas in der Luft. Und das schien von dieser Referendarin auszugehen, ja, sie war irgendwie total merkwürdig. So feindselig...

Bald darauf guckte ich auf der Bank den anderen beim Volleyballspielen zu, denn ich hatte ja kein Sportzeug dabei. Als es klingelte, sprang ich sofort auf. Die Luft draußen war klirrend kalt und ich wickelte mir meinen dunkelroten Schal enger um den Hals. Eilig ging ich über den Schulhof. Er schien menschenleer. Trotzdem kribbelte es in meinem Rücken. Ich fühlte mich beobachtet und schaute nach links und rechts über meine Schultern. Da war niemand. Mein Blick zog sich in die Ferne. Es juckte in meinem Augenwinkel.

Da war doch jemand. Und jetzt sah ich ihn. Zum ersten Mal. Im Schatten des Fußballtors. Seine Augen waren so kühl wie die Luft und doch versprühten sie etwas Besonderes. Etwas, das ich nicht kannte. Verschmitzt blickte er zu mir und erinnerte mich dabei an einen Jungen, dem ein besonders guter Streich geglückt war. Eine braune Locke rutschte ihm über das linke Auge und mit einem Kopfnicken versuchte er sie zu verscheuchen. Das tat er doch, oder? Das Nicken konnte unmöglich für mich bestimmt gewesen sein. Ich beschleunigte meine Schritte. Als ich um die Kurve ging und er somit aus meinem Blickwinkel verschwand, atmete ich erleichtert auf. Trotzdem ging er mir nicht aus dem Kopf, den ganzen Tag lang. Diese grauen Augen, sie hatten irgendwie traurig ausgesehen. Wären sie rot gewesen, hätte ich sie für ein Spiegelbild meiner eigenen gehalten.

Dabei mochte ich eigentlich keine Spiegel. In meinem Zimmer war keiner zu finden und ich putzte mir immer im Dunkeln die Zähne. Keinen Blick zu viel in das grausame Ding, das nichts geheim hielt. Doch an jenem Abend stellte ich mich direkt davor. Mit den Händen glitt ich unter das lange, leicht stufig geschnittene Haar und hob es nach hinten. Das sah nicht so schlecht aus wie ich befürchtet hatte. Ach Schwachsinn.

Ich ließ meine Hände wieder sinken und schlug mit aller Kraft gegen den Lichtschalter. Dann war es dunkel. So gefiel ich mir doch am Besten. Unsichtbar.

Im Dunklen drückte ich auf den <PLAY>-Knopf meiner Stereoanlage und ließ mich auf mein Bett plumpsen. Bei der leicht rauchigen Stimme von Annett Louisan konnte ich mich am besten entspannen. Nachdem ich ihr ein wenig gelauscht hatte, fielen mir die Augen zu und ich schlief ein. Gegen Morgen hatte ich einen Traum. Eine Gestalt verfolgte mich, das spürte ich genau, aber wann immer ich mich umdrehte verschwand sie. Ich hörte eine Stimme. „Lauf Elsa. Lauf schon.“ Ich fuhr herum und in meinen Ohren erklang ein Schrei und er hallte in meinen Ohren wie zerberstendes Glas.

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Autorin / Autor: Janka Katharina Hardenacke - Stand: 4. Februar 2009