Eine angelehnte Tür

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Tränen kamen mir schon seit einer Weile nicht mehr. Die Kehle war trocken und das Schluchzen war gedämpft von meinem Kopfkissen. Der ganze Köper brannte und fühlte sich an als würde er vor Kummer zerspringen wollen. Der sehnliche Wunsch, die Zeit zurückdrehen zu können, kam aus meinem Herzen, doch mein Verstand sagte mir, dass es unmöglich war. Manche Dinge sind unwiderruflich. Unfassbar und doch für immer. Ich wünschte, mein Herz würde aufhören zu schlagen, damit ich aufhören konnte zu nachzudenken und vor allem aufhören konnte zu fühlen. Alles war zu viel, selbst das Atmen. Doch der Muskel in meiner Brust schlug kraftvoll weiter, meinem Wunsch zum Trotz. Mein Zimmer war verdunkelt, denn es war Sommer und draußen schien warm die Sonne. Ich konnte nichts mehr sehen, schon gar nicht das Licht der Sonne. Voller Verzweiflung hielt ich mir die Hände an die Ohren, denn das Geschrei der spielenden Kinder schien immer lauter zu werden und von draußen herein zu gelangen. Ich konnte nichts mehr hören, schon gar nicht, wenn Kinder lachten und fröhlich waren. Ich musste eingeschlafen sein, denn ich hörte Stimmen, die draußen vom Flur kamen. Irgendjemand sprach mit meiner Mutter. Ich wollte nicht hören, was sie sagten, doch mir fehlte die Kraft, die Ohren zuzuhalten. Nach einer Weile ging die Tür auf und jemand setzte sich aufs Bett. Eine Hand strich tröstend über meine Schulter, meinen Kopf. Ich spürte, wie sich mein Körper verkrampfte. Ich wollte nicht berührt werden, deswegen setzte ich mich auf und hielt das Kissen vor meinen Körper, wie ein Schutzschild. Warum verstand keiner, dass ich in Ruhe gelassen werden und mich in meinem Kokon einspinnen wollte, in meinen Kokon der Trauer. „Es tut mir so leid“, die Stimme drang von ganz weit weg in mein Ohr und schmerzte wie ein Messerstich in meiner Brust. Ich dachte, dass ich keine Tränen mehr hätte, doch ohne Vorwarnung schossen sie wieder aus meinen Augen und machten mich blind. Mein Körper bebte erneut vom Schluchzen und dem Gefühl der völligen Verzweiflung. „Geh weg“, meine Stimme brach ab und ich war der festen Überzeugung die Wörter kamen nicht aus meinem Mund. Die Stimme war mir unbekannt, brüchig, heiser und voller Trauer. Doch trozdem ging die Gestalt, die mich trösten wollte, kopfschüttelnd aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Nun hatten meine Gedanken wieder freien Lauf und nochmal kam eine Flut von Tränen aus meinen Augen. Nie wieder werde ich lachen können, nie wieder werde ich ihn lachen hören. Nie wieder werde ich spüren, wenn er seinen Arm um mich leg, um bei ihm Trost zu finden. Nie wieder kann ich ihn um Rat fragen. Nie wieder .. Dieses Nie wieder beherrschte ich nun vollkommen. Bis jetzt habe ich nicht gewusst, was Verlust eigentlich bedeutet, doch dieses Nie wieder drückt alles aus, was man fühlt. Nur den Schmerz, den werde ich für immer behalten. Die Tage bis zur Beerdigung verbrachte ich in einer Art Dämmerzustand. Die Geräusche hörte ich nur gedämpft und die Umgebung kam mir fremd vor. Ich aß kaum, denn alles was ich aß, schmeckte nach nichts. Wörter zu formen und sie dann auszusprechen, glich einem Kraftakt. Genauso wie Zähne putzen, kämmen und anziehen. Nachts weinte ich und am Morgen schlief ich ein. Ich wollte nicht zur Beerdigung, niemand sollte mich so sehen. Ich fühlte mich, als wär ich wund, dunkel und müde, als hätte ich keine Haut. Die Beerdigung erlebte ich nun wie hinter Glas, alle sahen mich an wie eine Schaufensterpuppe. Nackt und ohne Gesichtsausdruck. Trozdem fühlte ich mich, als hätte ich mit dem allem nichts zu tun, als wäre es nicht seine Beerdigung, sondern diese eines Fremden. Ich weiß, er ist gestorben. Ich weiß, er wird jetzt begraben. Ich weiß mit ihm, ist auch mein Mut, meine Zuversicht und ein Teil meines Selbstvertrauens gegangen. Ich hatte nicht nur ihn verloren, sondern auch einen Teil von mir, der für immer verlorenging. Noch am gleichen Tag rief meine Mutter mich zu sich ins Wohnzimmer. Sie saß auf der Couch, das Gesicht rot und verquollen. In den Händen hielt sie zitternd ein Taschentuch. Seit seinem Tod fühlte ich mich außerstande sie zu umarmen. Jeder hatte versucht, seit seinem tödlichen Unfall, mit dem Schmerz fertig zu werden. Sie hatte mich in Ruhe gelassen und darüber bin ich ihr dankbar. Doch meine Mutter sah blass und zerbrechlich aus, ich spürte, dass sie für den dunklen Kummer noch keinen Platz gefunden hatte, geschweige denn Ruhe. „Dein Vater hat dich sehr geliebt..“, ihre Stimme brach ab und ein Schluchzen kam stattdessen aus ihrem Mund. Mein Zimmer war wieder verdunkelt und das Kissen dämpfte auch wieder mein Schluchzen, doch eine Sache war nun anders, die Tatsache das mein Vater gestorben war, war nun endgültig zu mir vorgedrungen und nun wusste ich auch gewiss, dass der Tod unwiderruflich war. Der Tod ist unwiderruflich, schließt die angelehnten Türen, die die Wege zu etwas neuem sind, dann für immer.

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Autorin / Autor: Lena, 15 Jahre - Stand: 10. Juni 2010