Schreiende Stille

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

17. Mai 1495

„Der Teufel verschwört sich gegen das Christentum! Er bedient sich den Hexen um durch Magie und Zauber Schaden und Tod über Mensch und Vieh zu bringen. “Während das Volk applaudierte, drängte sich eine junge Frau durch die Menge um unbemerkt in einer Seitengasse zu verschwinden. Die Dunkelheit tat sich wie ein schwarzes Loch vor ihr auf und sie schlüpfte dankbar für die Wolken, die den Mond verdeckten in die Dunkelheit hinein.

Als sie ihr Anwesen ein wenig entfernt der Stadt erreichte, fröstelte sie bereits in ihrem dünnen Mantel. Am Fuße der Treppe saß ihre Tochter Madlen in ihrem weißen Nachthemd, das sich so abhob von den roten Haaren die sich über ihre Schulter lockten. Ihre grauen Kinderaugen sahen sie groß an.„Wo bist du hingegangen?“ „Ich“, Elizabeth schloss die vierjährige in die Arme. „Ich war nur ein paar Dinge besorgen. Jetzt geh schlafen, es ist spät!“ Als das Kind die wackligen Holzstufen nach oben verschwand starrte Elizabeth ihr mit leerem Blick hinterher.

Eine plötzliche Aufwallung von Wut überkam sie, die ihre Traurigkeit versuchte wegzuschwemmen, doch ihre Traurigkeit saß in ihr wie eine kleine Insel mitten auf dem Ozean. Man konnte sie nicht wegschwemmen, denn sie war fest verankert, man konnte sie nur versuchen, für einige Momente zu überschwemmen, unsichtbar zu machen, doch irgendwo unter den Wellen würde die Insel noch immer da sein, unverändert.

Sie musste sich eingestehen, dass sie sich trotz des Umstandes, dass sie zu Hause war, nicht tatenlos in Sicherheit wiegen konnte. Ursula, eine alte Freundin Elizabeths war in den Händen der Richter und wer wusste, welch Namen sie preisgeben sollte in Folge der Folter. Die Folter traf ein jeden, der des Hexenwerks beschuldigt wurde, doch wer noch andre Hexen nannte, dem wurde bei der Hinrichtung ein schneller Tot geschenkt.

Elisabeth stand auf, sie schlang ihren Mantel eng um sich und schlich im Dunkeln der Nacht zu den Kerkern, in denen die angeklagten Hexen die letzten Tage, bis zu ihrem Tod fristeten. Die von Gitterstäben bedeckten Fenster waren so klein das sie einem keinen Blick ins Innere boten, nach Ursula zu rufen oder gar zu flüstern wagte sie nicht aus Angst von einem der brutalen Wächter entdeckt zu werden. Elisabeth wurde langsam panisch, es schien keine Möglichkeit zu geben mit Ursula Kontakt  aufzunehmen.

Da fiel ihr Blick auf die Kerkertür und sie meinte ihren Augen nicht zu trauen als sie merkte, dass sie nur angelehnt war. Sie hastete auf die Tür zu, streckte ihre Hand danach aus nur um sie wieder wegzuziehen. Wie Nebelfinger griff ein Gefühl nach ihr, das ihr bedeutete zu flüchten. Sie machte einen Schritt zurück. Sie wollte schon umdrehen doch dann blieb sie stehen und lauschte. Nichts. Es war still. Von der anderen Seite der Tür war kein laut zu vernehmen, viel mehr eine Stille. Eine so drückende Stimme, dass sie schon fast in den Ohren schmerzte. Eine Stille die ihrer Selbstbeherrschung mächtig wurde und sie sie jedes anderen Gedanken beraubte. Da war nur die Tür. Die Stille. Die Nacht. Verlockend ließ sie Elisabeth träumen. Träumen das sie Ursula hier rausholen und mit ihr und ihrem Kind dann flüchten konnte. Doch es war ein Traum. Ausgelöst von einer Tür. Ihr Puls beschleunigte sich als sie begierig den Knauf umfasste und die Türe aufriss. Das alte Holz knarrte und als sich Elisabeth ein Blick ins Innere bot empfing sie die Gewissheit einen schrecklichen Fehler begangen zu haben. Es war eine Falle.

Als Elizabeth zu sich kam, lag sie in einem runden, grauen, kerkerförmigen  Raum. Sie war an Händen und Füßen gefesselt und erst als sie den Kopf hob, merkte sie, dass sie nicht alleine war. „Was wollt ihr von mir?“ Elizabeth  versuchte krampfhaft die Fesseln um die Handgelenke zu lockern. „Auf dein Geständnis warten oder müssen wir dir erst unsere Folterinstrumente holen? „Soll ich denn Lügen? Mein Gewissen beschweren?“ Doch Elizabeth wurde nicht verschont.

Die nächsten drei Tage verbrachte Elizabeth in ständigem Wechsel zwischen Schmerzen und Bewusstlosigkeit. Der Schmerz in ihr betäubte jedes andere Gefühl, ihr Wunsch war nur noch zu sterben. Sie traute nicht irgendwen nach ihrer Tochter und Ursula zu fragen aus Angst, was sie erfahren würde. Sie wusste, dass die Hinrichtung immer näher rückte und als sie eines Morgens aus ihrer Bewusstlosigkeit wieder zu sich kam wusste sie, dass sie heute sterben musste.

Elizabeth wurde an einen Holzpfahl auf einem Reisighaufen gefesselt. Ein Großteil des Volkes stand bereits um ihre Todesstätte und unter ihnen erkannte sie auch einige ihrer Freunde und Bekannten.  Sie betete zu Gott, dass es doch der kleinen Madlen gut gehen möge, als sie plötzlich die ihr vertrauten, großen grauen Kinderaugen zwischen der Menge sah. Sie sah wie Madlen, gefesselt nach vorn geführt wurde, die kleine Madlen, sie würde nach ihr an der Reihe sein.

Elizabeth schrie auf, die roten Haare fielen ihr ins Gesicht und verbargen ihre Tränen, die wie in Flüssen unaufhaltsam über ihre Wangen liefen. Der Schmerz wollte sie in die Knie zwingen aber die Fesseln hielten sie nach oben. Ihr Kind, klein, mit schmutzigen Händen und Gesicht blickte sie ausdruckslos vom Ende des Scheiterhaufens an. Sie wollte nach ihm greifen, während ihr die Fesseln blutige Striemen über die Handgelenke zog. Sie wollte den Schmerz verdrängen, vergessen aber die Flammen züngelten bereits an ihren Kleidern und während sie ihr das Fleisch versengten, schrie sie verzweifelt nach ihrem Kind, dann starb sie.

Starb, wegen einer angelehnten Tür…

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Autorin / Autor: Moira, 14 Jahre - Stand: 15. Juni 2010