Durch den Türspalt

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Sie ging durch den breiten Flur mit dem beigefarbenen Teppich. Ihre Schritte hallten in dem Gang, der sich vor ihr auszudehnen schien, wieder, sodass sie das Gefühl hatte, ihrem Ziel kaum näher zu kommen. Zu beiden Seiten des Flurs waren Türen, viele Türen, und bisher waren sie alle geschlossen gewesen. Bald würde eine auftauchen, die ihr nicht versperrt war, durch die sie hindurchgehen und hinter der sie sich für zumindest drei Jahre an diesen nichts sagenden Flur und an das anonyme Gebäude, das ihn beherbergte, binden würde. Was für eine Zukunft... Ein Bürojob, genau das, was sie nie gewollt hatte. Vielleicht gab es Menschen, denen so etwas Freude bereitete, aber sie gehörte sicher nicht dazu. Sie wollte erstmal etwas ganz anderes machen, kreativ sein, vielleicht auch ein Jahr herumreisen, Work and Travel oder ein freiwilliges  Jahr, es gab so viele Möglichkeiten, über die sie nachgedacht hatte. Und nun war sie hier. Monatelang hatten ihre Eltern auf sie eingeredet, doch etwas „Vernünftiges“ zu tun, eine sichere Ausbildung zu machen, bloß keine übermütigen Spontanaktivitäten, die später kein Geld ins Portemonnaie brachten. Gleich die erste widerwillige Bewerbung hatte ihr eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch hinter einer Tür am Ende dieses Ganges eingebrockt. Damit war noch nichts entschieden, aber was, wenn sie eingestellt würde? Sie konnte das nicht, nicht jeden Tag und das mehrere Jahre lang.

Da, auf der rechten Seite, da fiel ein schmaler Lichtstrahl durch einen Türschlitz auf den Boden. Draußen musste es schön sein; als sie das Gebäude betreten hatte, hatte es gerade erst aufgehört zu regnen, aber nun tanzten die feinen Staubkörnchen in dem winzigen bisschen Sonnenlicht. Was würde sie darum geben, nun dort draußen zu sein. Ein Gedanke, den sie sicher noch oft haben würde, wenn sie hier anfing. Nur wenige Schritte noch und sie stand vor der Tür. Im Zimmer klingelte das Telefon. Wer immer dort am Schreibtisch saß, nahm ab und meldete sich förmlich mit seinem Namen und dem Namen des Unternehmens. Das Gespräch drehte sich offenbar um irgendeine Abrechnung. Ein guter Grund, noch nicht einzutreten. Was würden ihre Eltern sagen, wenn sie nun einfach wieder nach Hause käme? Sie hatte ihnen nicht von ihrer Bewerbung für eine Ausbildungsstelle bei einem Veranstaltungsfotografen gesagt. Und auch nicht von dem Erfolg dieser Bewerbung. Der Mann hinter der Tür sprach immer noch. Je länger sie zuhörte, desto klarer wurde ihr, dass sie hier nichts zu suchen hatte. Ihre Eltern würden damit zurechtkommen müssen, es ging schließlich um ihre Zukunft.
Sie wandte sich um und ging davon.

Zur nächsten Einsendung

Autorin / Autor: Annika, 18 Jahre - Stand: 15. Juni 2010