Die Welt hinter meiner Zimmertür

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

SCID.
Severe Combined Immunodeficiency.

Oder einfacher: Schwerer kombinierter Immundefekt. So nennt man die Krankheit, die ich habe. Schon immer. Seit meiner Geburt. Mein Immunsystem funktioniert nicht richtig. 'Die Polizisten in deinem Körper sind überarbeitet', sagte meine Mutter, als ich sie fragte, was das bedeutete, 'Wenn ein Dieb kommt, können sie ihn nicht aufhalten'
Sie weint oft. Vor allem dann, wenn sie mir durch die sterile Plastikwand, die mein Zimmer isoliert, gute Nacht wünscht. Umarmen kann sie mich nicht. Oder nur in einem ebenfalls sterilen Anzug.

Ich bin alleine. In meinem Zimmer. Die Schleuse, die durch die Plastikwand führt, ist geschlossen, die Tür dahinter angelehnt. Vermutlich ein Versehen… Heute ist nämlich das Geburtstagsfest meiner Schwester. Und Mama ist es peinlich, wenn sie über mich ausgefragt wird. Durch den Türspalt sehe ich ins Wohnzimmer. Ich krieche näher und sehe ein Stück des Esstisches, davor ein Teppich. Auf ihm sitzen mehrere Kinder und lachen. Meine Schwester sitzt auf dem Tisch und lässt die Beine über die Kante hängen. Sie lacht, während die Kinder ihr lachend zusehen, wie sie ein Geschenk auspackt.

Ich senke niedergeschlagen den Kopf. Freunde. Glückliche Momente. Geschenke. Wie gerne wäre ich durch die Schleuse hinausgegangen und hätte mitgefeiert. Meiner Schwester gratuliert.
Doch ich bin hier gefangen, darf nicht hinaus, sonst werde ich krank…
Irgendwann schaue ich wieder zur Tür. Meine Schwester sitzt auf dem Boden, ihre Freunde um sie herum, überall farbiges Geschenkpapier. Sie spielen ein Kartenspiel namens UNO. Man muss entweder eine Karte mit der gleichen Farbe oder der gleichen Zahl wie die untere spielen. Wer keine passende Karte hat, muss eine ziehen. Wer als erstes keine mehr hat, gewinnt.
Ich stelle mir vor, dass ich mit spiele. Ich habe vier Karten: Eine gelbe Null, eine grüne Vier und Neun und eine rote Acht. Meine Schwester spielt eine blaue Vier. Ich spiele meine grüne. Dann kommen die anderen dran.
Meine Schwester gewinnt mit zwei Karten Vorsprung. Ich werfe frustriert die Karten zu Boden und alle lachen.
So würde es sein, dürfte ich hier raus.
Meine Schwester verliert gegen ein Mädchen mit roten Haaren. Sie schürzt frustriert die Lippen und sammelt die Karten ein. Danach beginnen sie ein anderes Spiel. Ich spiele mit. In meinen Gedanken.
Sie essen jetzt Kuchen. Ich bekomme Hunger, doch ich könnte das Zeug nicht essen. Zu viele Bakterien.
Wie Kuchen wohl schmeckt?
Als die Dämmerung anbricht, verabschieden sich die ersten. Mittlerweile scheint ein gelber Lichtkegel durch den Türspalt in mein Zimmer.
Ich höre die Stimmen von zwei Frauen und von meiner Mutter. Sie sprechen miteinander und setzen sich dann in meinem Blickfeld an den Tisch. Sie essen Kuchen, während meine Schwester und eine ihrer Freundinnen leise miteinander streiten.

Ich fühle mich alleine. Niemand holt mich aus meinem Käfig, um mit mir zu spielen oder um mit mir Kuchen zu essen. Weshalb nicht? Ich verstehe es nicht. Weshalb muss ausgerechnet ich diese Krankheit haben? Weshalb ich? Ich will nicht ständig hier eingesperrt sein!
Ich gehe näher zur Schleuse und spähe durch den Plastik aus dem Zimmer. Eine der Frauen nimmt die Bewegung war und schaut in meine Richtung. Schnell ziehe ich mich wieder in die Dunkelheit zurück. Die Frau stellt eine Frage. Darauf folgt eine knappe Antwort, dann ertönen hastige Schritte und die Tür wird geschlossen.
Ich bleibe alleine in meinem Plastikzelt zurück und frage mich, wie ich es immer tue:
Weshalb ich?
Weshalb nicht irgendjemand anderes?
Und weshalb kann mich meine Mutter nicht so akzeptieren, wie ich bin?

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Autorin / Autor: Mirjana, 18 Jahre - Stand: 14. Juni 2010