Vertrauen

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Es ist unglaublich, ich fühle mich gerade selbst irgendwie bescheuert. Schon seit einer halben Stunde sitze ich vor dieser angelehnten Tür und starre sie an. Es ist eine ganz normale Holztür, mit einem versilberten, abgenutzten Griff. Ich folge den dunklen Linien im Holz, das kleine, geheimnisvolle Schlüsselloch lächelt mich an. Nichts ist an dieser Tür besonders, rein gar nicht, sie ist eben nur nicht fest geschlossen, aber auch nicht ganz geöffnet. Es ist dieser Mittelweg, die Entscheidung, die die Tür jedem Menschen überlässt, sie ist hinterlistig, sie prüft den Menschen und seine Vorgehensweise.
Unangenehme Gewissensfragen brodeln in meinem Bauch, ich überlasse normalerweise nichts dem Zufall. Wieso Warten, bis die Tür sich abrupt öffnet, wieso stundenlang auf den Türspalt starren, bis die Tür mit einem Knarren zu geht, wieso wieso wieso? Ich kann mich einfach nicht durchdringen, diese Tür wirklich zu öffnen, durch die Türschwelle zu treten und dem Unerwarteten entgegenzutreten.
Egal, wie ich mich vor diese nervtötende Tür setzte, der Türspalt verfolgt mich, natürlich nicht, wenn ich der Tür den Rücken zudrehen würde, aber andererseits möchte ich auch dieses Nicht-Geschehnis mitverfolgen.
Ich stelle mir vor, diese blanke, langweilige Tür, auf der Seite, auf der ich mich befinde, wäre beklebt mit Fotos, Erinnerungen, Gedanken, Songtexten, Konzertkarten, meine persönliche „Lebenstür“. Verrückt, diese Stille. Und trotzdem erzeugt sie Spannung, die meinen Atem unruhiger gehen lässt, ich knabbere mir alle Fingernägel ab, so nervös bin ich. Fremdartig diese Situation, fremdartig und leer. Was ist, wenn man einfach nicht die Kraft, den Mut hat die Tür zu öffnen?Durch den winzigen Spalt erkenne ich rein gar nichts, doch warum hat jemand diese Tür angelehnt gelassen? War es Unachtsamkeit oder Absicht, eine Chance für mich? Ein neuer Start in die Freiheit?
Es gibt viele Momente, die sich nach unendlicher Freiheit anfühlen, doch kaum öffnet man wieder seine Augen, verschwinden sie und leben nur noch als Erinnerung.
Ich schließe die Augen, meine Gedanken, meine Träume nehmen mich mit auf eine kleine Reise. Ich denke an früher, an die vielen lieblichen Erinnerungen. Wieso hat sich alles verändert?
Ich bin so versunken in meine eigene Welt, dass ich gar nicht bemerke, wie die Tür aufgerissen wird. „Hallo“, sagt da jemand zu mir. Ich blicke auf. Wir schauen uns an. Ich merke, wie die Innenwinkel meiner Augen feucht werden. Ich schaue weg. Eine Hand streckt sich zu mir hin, ich will sie ergreifen, will aufstehen, doch da verliere ich das Gleichgewicht, und wir beide fallen hin. Jetzt liegen wir auf dem Boden. Ich schaue ihn an. Er hat sich kaum verändert. Ein geheimnisvolles Lächeln umspielt seine Lippen. Strahlende und gleichzeitig tiefschwarze Augen, umrandet von buschigen Augenbrauen und langen Wimpern starren mich an. Seine dunkle Haut ist schon etwas gealtert, ein paar Falten hat er im Gesicht. Ich runzele die Stirn, die Gegensätzlichkeit, dieses Vertraute und Fremde zugleich in seinem Gesicht, bringt mich zur Verwirrung. Sie macht sich in meiner Ausdrucksweise bemerkbar. Mir fehlen die Worte, ich bin entsetzt über meine Sprachlosigkeit: „Wie, wie, wie, wies, wies, wieso haaaaas...“. Ich klappe meinen Mund wieder zu. Er schmunzelt. Ich reiße mich zusammen: „ Wieso hast du dich nie mehr gemeldet? Wieso hast du mich im Stich gelassen? Warum? Warum sagst du nichts?“ Meine Stimme bekommt einen weinerlichen Unterton, den ich eigentlich gerne vermieden hätte. Eine lange Pause entsteht. „Komm“, sagt er, „komm, ich zeig dir mein Haus“. Verdutzt nehme ich wieder seine Hand und wir treten gemeinsam in einen dunklen, kühlen Vorraum. Die frische Luft ist angenehm. Draußen war die stickige Hitze kaum auszuhalten. Er fragt: „ Kannst du bitte deine Schuhe ausziehen?“. Mit nackten Füßen laufen wir weiter auf dem kratzigen Bambusfußboden, bis hin zu einer Kochnische, mit einem kleinen Holztisch und bunten Klappstühlen, die um den Tisch stehen. „ Nimm Platz“. Mechanisch setze ich mich auf einen blauen Klappstuhl. Die Sonne hat seine Farbe schon fast ausgebleicht. Traurig schaue ich mich um, der Raum ist ansonsten fast leer. In einer Ecke liegen ein paar Wolldecken. Ich beobachte seine alte, gebrochene Statur, wie sie so an der Kochnische steht und etwas zubereitet. Keiner sagt etwas, aber wozu auch?

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Autorin / Autor: Tabea, 17 Jahre - Stand: 7. Juni 2010