Broken And Emotionally Frozen

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Wenn es keinen Ort zum Flüchten gibt.

Eine Schimpftirade und wütend gezischte Worte ließen mich unruhig schlafen. Ich rollte auf die Seite. Änderte meine Schlafposition und gab es schließlich auf. Seufzend stand ich auf und verließ mein Zimmer. Ich stand auf der höchsten Stufe, zögerte die Treppe abzusteigen. Ein Blick auf das verdunkelte Zimmer von Rose ließ mich vergewissern, dass sie schlief. Das Licht aus dem Wohnzimmer schien durch den Türspalt hinaus auf den Flur. Er warf lange Schatten zweier Menschen auf die Wand, unübersehbar wütend vorgebeugt. Die Hände wütend zu Fäusten geballt, während sie sich wie so oft verbissen bekriegten. Verletzende Worte. Wie jeden Abend. Ich schlich die Treppe hinunter – zaghaft und bereit, beim kleinsten Zeichen zurück zu hasten. Lautlos tapste ich weiter und erreichte die angelehnte Tür zum Wohnzimmer. Unsicher und zögernd drückte ich mein Ohr gegen das unerwartet kalte Holz, darauf bedacht, sie nicht auf zustoßen. Wie oft war ich jetzt schon in diesen schlaflosen Nächten herunter geschlichen und hatte meine Eltern belauscht? Wie lange hatte ich wach gelegen bis ich es nicht mehr aushielt und den Mut aufbrachte nach unten zu gehen? Nie legte sich diese unerklärliche Angst, etwas zu erfahren, was vielleicht alles ändern könnte. Eine Nichtigkeit, mit einer grausam zerstörerischen Kraft. Jedes Mal kehrte ich erleichtert zurück zum Bett in frühen Morgenstunden. Beruhigt, dass es noch nicht so weit war.

Woher hätte ich wissen sollen, dass heute die entscheidende Nacht werden würde. Dass mein Leben gerade dabei war, sich von mir zu lösen und sich von mir zu verabschieden. Ich heulte bittere Tränen, doch das kam später. Zu der Zeit, war mein Innerstes angreifbar und verletzlich. Unten hörte ich meine Mutter gerade einen Tobsuchtsanfall bekommen. Sie stampfte wütend auf und schrie Dad an: „Du bist das Allerletzte! Sie brauchen dich und du hast nichts Besseres zu tun, als einfach so mal eine Woche zu verschwinden! Ohne irgendeine Nachricht! Wie konntest du nur, Ben?!“ Ich wusste, worauf Mum anspielte. Vor zwei Wochen an einem Freitag war er nach der Arbeit einfach nicht nach Hause zurück gekommen. „Ich glaube eher, dir liegt nichts an den Kindern! Du willst mich festhalten, einsperren. Ich habe keine Freiheit mehr, Kate! Ich hab es langsam echt satt!“ schrie er zurück und schlug mit der Faust wütend auf den Tisch. Ich schloss die Augen – ich sah sie beide direkt vor mir. Ich erinnerte mich genau an sein Verschwinden. An Mums ausdrucksloses Gesicht und das kalte Abendessen, welches sie immer und immer wieder in der Mikrowelle aufwärmte. Er kam trotzdem nicht. Danach war die Sorge fast spürbar, direkt in ihre traurigen Augen gemeißelt – wie aus Stein. Schließlich ging sie ins Bett und blieb am nächsten Morgen lange liegen.

Die ganze Woche über versuchte sie uns zu beruhigen, indem sie uns immer wieder versicherte, dass er auf einer Geschäftsreise wäre. Seinen Namen nannte sie nicht. Rose und ich waren nicht dumm genug, ihr das zu glauben. Doch was hätten wir tun sollen? So nickten wir brav und taten alles, um ihr das Leben zu erleichtern. Während sie in so einer kurzen Zeitspanne alte Angewohnheiten annahm und Kettenraucherin wurde, wusste ich tief im Innern – unsere Familie war zerstört. Nichts hielt uns noch zusammen. Schließlich kam Dad plötzlich zurück und tat, als hätte es diese schreckliche Woche nicht gegeben. Rose war dankbar dafür. Mum sprach tagelang kein Wort mit ihm und ich – ich war verwirrt. Unfähig zu verstehen, dass unsere Familie in den Abgrund gerissen wurde. Sie war schon so tief unten, dass man kaum noch das Licht erkennen konnte. Keine Rettung in Sicht. Und das Schlimmste war, der Fall ging tiefer. „Ich bitte dich! Das ist wohl nicht dein Ernst, Ben! Ich brauche dich nicht.“ zischte Mum drohend. „So geht es nicht mehr weiter! Es reicht, es wird Zeit getrennte Wege zu gehen, Kate. Ich werde die Scheidung einreichen.“ Eine Welt in mir brach zusammen. Ich hielt das nicht mehr aus. „Tu das, Ben. Ich werde dich vergessen. Du warst es nicht wert. Bist es nie gewesen. Aber Grace und Rose bleiben bei mir! Du bist ein schlechter Vater.“ Das war ein Schlag unter die Gürtellinie, doch Dad entgegnete zähneknirschend: „Das regelt das Gericht, Kate. Nicht du.“

Seine Stimme war voller Verachtung, dass es mir eiskalt den Rücken runter lief. Ich rutschte an der Wand runter. Tränen verdeckten meine Sicht. Verzweifelt vergrub ich das Gesicht in den Händen. Mum schrie voller Wut und Trauer, aber ich war nicht in der Lage, weiter zu hören. Scheidungen waren etwas endgültiges. Mir entwich ein Schluchzen der Verzweiflung. Die Tränen versiegten nicht, benebelten meine Sinne. Plötzlich war es totenstill im Wohnzimmer. Kein Gekeife, kein Schreien - einfach nur erdrückende Stille. Sie drohte mein Herz zu umklammern und zuzudrücken. Erschrocken japste ich nach Luft, sprang auf und wischte energisch die Tränen weg. Ich rannte schnell nach oben. Mein Schluchzen hatte mich verraten. Die Tür des Wohnzimmers wurde ganz geöffnet, gerade als meine zuvor offen gestandene Tür ins Schloss fiel. Das Licht breitete sich auf dem Flur aus. Sie wussten, dass ich jedes Wort mitgehört hatte. Ich zog die Decke über meinem Kopf und weinte lautlos weiter. Das leise Öffnen der Tür blieb für mich unbemerkt. Erst als eine Hand über meine Haare strich, verkrampfte ich mich und zog die Decke enger. „Es tut mir Leid, Schatz.“ Keine Antwort. Schwerfällig erhob sie sich vom Bettrand und schloss die Tür hinter sich. Ich konnte nicht umhin, mir die Schuld zu geben. Ohne mich wären sie glücklicher. Ohne Kinder ist jeder glücklicher. Aber ich musste an Rose denken. Meine kleine Schwester. Schutzlos diesen... gefühlskalten Menschen ausgesetzt. Sie würde einen Ausweg herausfinden. Ich klammerte mich so an diesem Gedanken fest, dass ich all meine Hoffnung darauf setzte. Die letzten Tränen waren vergossen. Erlöst aus dieser kaputten Familie. Verzeih mir, dass ich dich allein gelassen habe, Rose. Verzeih mir, bitte.

Zur nächsten Einsendung

Autorin / Autor: Shizra, 16 Jahre - Stand: 25. Mai 2010