Voyage de Découverte (Die Entdeckungsreise)

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Auf dem Weg in mein neues Zimmer traf ich mein Spiegelbild. Der Blick in den Spiegel war hier fast unvermeidlich; Mutter hatte überall große, mit Kristallen verzierte Spiegel aufgestellt. Um unseren Reichtum darzustellen. Reichtum,Reichtum,Reichtum.
Seit dem Tod meines Vater war meine Mutter eine glückliche, neureiche Witwe geworden. Dass sein Erbe so großzügig ausfallen würde, hatte niemand von uns erwartet. Ich sah mich an. Meine Haare glänzten künstlich, mein Gesicht zeigte ein falsches Rosé. Das schwarze Kleid war zu edel. Ich wollte auf der Beerdigung nicht aussehen wie eine Prinzessin. Wütend riss ich das schwarze Netz aus meinen Haaren. Klimpernd fiel es auf den Boden. Ich starrte mich an. Mein Haar wehte leicht. Warum wehte es? Da entdeckte ich sie. Die angelehnte Tür wehte sanft einen Windstoß nach dem anderen hinein. Ich wandte mich vom Spiegel zur Tür. Sie war wirklich bildhübsch: Der feine Stuck passte perfekt zur Borde an der Wand. Die Villa war wirklich groß; ich hatte noch nicht alle Zimmer entdeckt und womöglich hatte ich diese hübsche, angelehnte Tür bis jetzt noch nicht wahrgenommen.
Die Windstöße wurden heftiger und die Tür knarrte immer einen Zentimeter vor und wieder zurück. Vor, zurück. Erst nach einigen Minuten konnte ich mich endlich von diesem Anblick losreißen und trat näher auf die Tür zu. Die Kühle der Windstöße streichelte meine Wange. Langsam hob ich die Hand zur goldenen Klinke, machte noch einen Schritt auf die Tür zu - und erstarrte. Es hupte. Das Hupen der Limousine. Es kam von draußen. Es kam durch die Tür. "Katharina! Los! Wir kommen zu spät zur Beerdigung!"
Wie dumm, dass mein Zimmer im Erdgeschoss lag. Und wie dumm, dass ich die Haustür noch nie so genau betrachtet hatte.

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Autorin / Autor: moonchild, 14 Jahre - Stand: 14. Mai 2010