Einschlafen

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Schlaf gut und träum etwas Schönes. Ich hab dich lieb.
Lass die Tür ganz offen!
Licht aus, Vorhänge zu. Die Decke bis zum Kinn. Mama geht aus dem Zimmer. Ich höre, wie sie sich hinsetzt und den Computer aufdreht. Ein Lichtschein fällt durch die Tür bis zu meinem Bett. Bei geschlossenen Türen kann ich nicht schlafen. Bei geschlossenen Türen wird mein Zimmer ganz eng und ganz still und ich bin ganz allein. Bei geschlossenen Türen weiß ich nicht, ob ich noch da bin.
Ich höre Mama summen und mache die Augen zu. Ich weiß, der Lichtschein ist noch da, Mama ist noch da und ich bin noch da.

Schlaf gut und träum etwas Schönes. Ich hab dich lieb.
Mama geht und die Tür schwingt hinter ihr zu. Ich lausche ihren Schritten. Meine Kehle wird ganz eng. Die Tür ist angelehnt, der Lichtschimmer hört bei meinem Stuhl auf. Ein leises Geräusch, das ich nicht identifizieren kann. Ich versteife mich, mache die Augen zu und wieder auf und drehe mich auf die andere Seite. Für einen Moment verliere ich die Orientierung, die Stille kommt immer näher, erdrückt mich fast.
Ich stehe auf, gehe auf Zehenspitzen zur Tür und ziehe sie leise auf.

Gute Nacht. Schlaf gut.
Die Tür wird geschlossen. Ich reiße meine Augen auf. Dunkelheit und Stille um mich herum und in mir. Kein Lichtschimmer, kein Geräusch. Ich versteife meinen Körper und halte den Atem an, während mir etwas über die Wange in die Haare läuft.

Gute Nacht.
Ich gehe in mein Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Das Bett knarrt, die Decke raschelt. Sobald ich still liege, weiß ich nicht mehr, ob ich existiere. Ich bin gefangen in der Enge meines Zimmers und verloren in der Weite des Universums, Gefangene meiner Gedanken und Gefühle. Bin ich? Ich beiße mir auf die Lippe, ich spüre mich, aber ich bin die Einzige.

Schließ die Tür, Schatz.
Ich liebe dich.
Ich steige ins Bett und spüre seine Körperwärme neben mir. Er nimmt meine Hand. Die Dunkelheit wird unsere Höhle, die Einsamkeit wird Zweisamkeit. Ich spüre uns beide. Ich drehe mich um und halte seine Hand fest.

Schlaf gut und träum etwa Schönes. Ich hab dich lieb.
Lass die Tür offen!
Ich verlasse ihr Zimmer und öffne die Tür weit. Dann gehe ich mein Zimmer, wo er schon auf mich wartet. Schließ die Tür, sagt er mit einem Lächeln. Ich lege den Finger auf die Lippen, lehne die Tür an und lege mich zu ihm.

Gute Nacht.
Ich gehe durch die leere Wohnung in mein leeres Zimmer. Ich lasse die Türen offen. Nachdem ich mich ins Bett gelegt habe, schließe ich die Augen und seufze. Es ist dunkel und still, aber ich fühle mich geborgen. Ich weiß, wo ich bin, ich fühle mich selbst und fühle mich als ein Teil des Ganzen. Versöhnt mit mir und der Welt schlafe ich ein.

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Autorin / Autor: Miriam, 15 Jahre - Stand: 14. Mai 2010