Einflusslose Geschwister

Studie: Brüder und Schwestern prägen unseren Charakter weniger als gedacht

Wer mit Geschwistern aufwächst, kann es bestätigen: Brüder und Schwestern haben - zumindest in der Kindheit - einen großen Einfluss darauf, was man denkt und fühlt. Aber beeinflussen sie uns auch langfristig in unseren Persönlichkeiten? Mit dieser Frage beschäftigt sich die psychologische Forschung schon seit über einem halben Jahrhundert. Wissenschaftler_innen untersuchten immer wieder, ob Brüder und Schwestern Einfluss darauf nehmen, wie sehr ihre Geschwister sogenannte „geschlechtskonforme“ Eigenschaften annehmen, also Merkmale, die in der Gesellschaft als „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ gelten. Dazu gibt es vielfältige Annahmen und auch widersprüchliche Befunde, auch weil frühere Studien oft auf einer schmalen und wenig belastbaren Datenbasis beruhten.

Um die bislang uneinheitliche Datenlage zu klären, analysierte nun ein Team von Forschenden Daten von mehr als 80.000 Erwachsenen aus neun Ländern, darunter Deutschland und die USA, aber auch beispielsweise Mexiko und China. Möglich wurde dies durch verschiedene Nationale Langzeitstudien, die systematisch und über Jahrzehnte hinweg Informationen über Personen erfassen, darunter auch ihre Lebensumstände und auf verschiedenen Wegen ermittelte Persönlichkeitsmerkmale. Die statistische Auswertung dieser Daten zeigte über die Ländergrenzen hinweg: Persönlichkeitseigenschaften wie zum Beispiel Risikobereitschaft, emotionale Stabilität, Gewissenhaftigkeit und Geduld hängen offenbar nicht systematisch mit dem Geschlecht der Geschwister zusammen.

Der Einfluss von Brüdern und Schwestern

„Unsere Ergebnisse widerlegen die Idee, dass das Aufwachsen mit Brüdern oder Schwestern dazu führt, dass wir langfristig bestimmte Persönlichkeitseigenschaften entwickeln, die in einer Gesellschaft als ‚typisch weiblich‘ oder ‚typisch männlich‘ gelten,“ erläutert Dr. Julia Rohrer von der Universität Leipzig, eine der Autorinnen des Artikels. Überhaupt zeige die aktuelle Studienlage, dass Geschwister einen überraschend geringen Einfluss auf die Persönlichkeit im Erwachsenenalter haben. So zeigten frühere Studien ihrer Arbeitsgruppe in Leipzig, dass auch die Geschwisterposition – also ob man zum Beispiel Erstgeborene_r oder Sandwichkind ist – keine große Rolle für die Persönlichkeit spiele, so die Forscherin.

Allerdings bedeuten die Ergebnisse der neuen Studie nicht, dass das Geschwistergeschlecht gar keine Rolle spielt für den langfristigen Lebensweg. Ökonomische Studien haben gezeigt, dass in den USA und Dänemark Frauen mit Brüdern geringere Erwerbseinkommen erzielen. „Hier gibt es anscheinend also durchaus interessante Dynamiken, die mit dem Geschlecht zusammenhängen“, so Rohrer. „Aber die Persönlichkeit ist wohl kein Teil der Erklärung solcher Effekte.“

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 1. September 2022