Muslimische Frauen in Europa

Studie des Europäischen Netzwerks gegen Rassismus: "Vergessene Frauen: die Auswirkungen der Islamophobie auf muslimische Frauen"

Wer aufmerksam die Nachrichten verfolgt, für die ist unüberseh- und unüberhörbar: Die Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa nimmt - besonders nach dem Erstarken rechtsnationaler Gruppierungen und Parteien - immer mehr zu beziehungsweise wird sichtbarer. Wie der Zeit Online-Journalist Lenz Jakobsen feststellte, ist die Zahl der Attacken auf Moscheen kontinuierlich zwischen gestiegen: zwischen 2001 und 2011 um 22%, 2012 um 35% und 2013 um 36%.

Wie eine aktuell erschienene Untersuchung des Europäischen Netzwerks gegen Rassismus (enar) feststellt, leiden insbesondere muslimische Frauen zunehmend unter verbaler und physischer Gewalt aufgrund ihrer Religion und/oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Immer öfter berichten muslimische Frauen von Vorfällen, bei denen sie angespuckt, ihnen das Kopftuch vom Kopf gerissen, oder bei denen sie angerempelt oder geschlagen wurden. Viele muslimische Frauen gehen aus Angst vor möglichen Angriffen nicht mehr alleine nach draußen, vermeiden das Verlassen des Hauses bei Dunkelheit, oder gehen nicht an bestimmte Orte in Deutschland, die als rassistisch bekannt sind. Selbstverteidigungskurse werden bei muslimischen Frauen immer beliebter. (Quelle: Factsheet Germany, siehe unten).

Der neue Bericht "Vergessene Frauen: die Auswirkungen der Islamophobie auf muslimische Frauen" fasst die Ergebnisse von Untersuchungen in acht europäischen Ländern zuammen: Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Schweden und Großbritannien.


Die Dreifachbenachteilung auf dem Arbeitsmarkt

Laut Bericht erleben muslimische Frauen drei Arten der Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt. An erster Stelle werden sie - ebenso wie alle anderen Frauen - aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert. Hinzu kommt aber auch noch die Herabsetzung aufgrund von negativen Vorbehalten gegen ihre ethnische und/oder religiöse Zugehörigkeit, besonders dann wenn sie ein Kopftuch tragen oder sonstige Kleidungsstücke, die sie als Muslima kennzeichnen. Im Großbritannien wurden beispielsweise 12,5 % der pakistanischen Frauen in Vorstellungsgesprächen über ihre familiären Pläne befragt, während weißen Frauen nur in 3,3% der Fälle eine solche Frage gestellt wurde. Auch in Deutschland wird es Migrant_innen schwerer gemacht, einen Job zu finden: Eine aktuelle Studie der Universität Linz hat mehr als 1500 Bewerber_innen mit dem gleichen Lebenslauf, aber unterschiedlichen Bewerbungsfotos und Namen in verschiedene deutsche Firmen geschickt. 18% derjenigen mit deutsch klingenden Namen wurden zum Vorstellungsgespräch eingeladen, wohingegen nur 13% der Teilnehmer mit türkisch klingenden Namen eingeladen wurden. Trugen die Frauen auf dem Bewerbungsfoto ein Kopftuch, erhielten nur 3% eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. In Belgien gaben 44% der Arbeitgeber zu, dass das Tragen eines Kopftuchs sich negativ auf die Auswahl der Bewerber_innen auswirkt.

Hass und Gewalt gegen kopftuchtragende Frauen

In den meisten untersuchten Ländern stellte sich heraus, dass muslimische Frauen - besonders mit Kopftuch - häufiger Opfer von Hassverbrechen und Beleidigungen werden als muslimische Männer. Die Angriffe bestehen aus Hassreden und auch körperlicher Gewalt - sowohl im realen Leben als auch online. In den Niederlanden beispielsweise waren 2015 über 90% der Opfer islamophober Vorfälle, die an die Organisation "Meld Islamofobie" gemeldet wurden, muslimische Frauen. Auch in Frankreich waren 81,5% der Fälle, die dem "Kollektiv gegen Islamophobie" gemeldet worden waren, gezielte Angriffe auf Frauen, die meisten von ihnen trugen ein sichtbares religiöses Symbol. Auch die britische Organisation "Sag es MAMA" berichtet, dass 54% der gemeldeten Drohungen und Beschimpfungen von Frauen kamen. Die Angriffe bestehen oft aus einer Mischung aus verbaler und körperlicher Gewalt, sowie rassistischen und sexistischen Beleidigungen, Gesten und anderen Vorfällen, die vor allem im öffentlichen Raum stattfinden.

Medien und Polilitik schüren Vorurteile

Der Bericht zeigt aber auch auf, dass Vorurteile und stereotype Vorstellungen über muslimische Frauen sowohl in den Medien, in der öffentlichen Diskussion und auch durch  Politiker_innen verbreitet werden. So habe zum Beispiel das Gesetz des Kopftuchverbots für Lehrerinnen öffentlicher Schulen, das in 8 Bundesländern in Kraft gesetzt wurde, auch andere Arbeitnehmer_innen in ihrem Verhalten gegenüber verschleierten Frauen beeinflusst. Oft würden nun mit dem Kopftuch Stereotypen und Vorurteile gegenüber muslimischen Frauen hervorgerufen, die sie als politisch gewalttätig und dadurch als potenzielle Unruhestifter innerhalb der Firma sehen. (Quelle: Factsheet Germany, siehe unten)

Diese negative Aufmerksamkeit auf muslimische Frauen in den Medien und im politischen Diskurs bereite den Boden für diskriminierende Praktiken und Gewalt, so die Autor_innen. "Muslimische Frauen sind das Ziel von Diskriminierung und Gewalt, weil sie Frauen und Muslima sind, aber es wird nichts gegen diese Mehrfachdiskriminierung getan, mit sie konfrontiert sind", sagte die ENAR-Vorsitzende Sarah Isal. "Die Europäische Union kann sich nicht leisten, muslimische Frauen auszuschließen und zu vergessen, wenn sie sich für die Gleichstellung der Geschlechter und die Bekämpfung von Rassismus einsetzt. EU-Gesetze zum Schutz vor Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und Hasskriminalität müssen die Frauen wirksam schützen."

Quelle:

Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 8. Juni 2016