Jobsuche mit Behinderung

Sternchen96 (Pseudonym) hat eine körperliche Beeinträchtigung. Wie es ist, damit eine Stelle zu finden in einem Beruf, der auch Spaß macht, erzählt sie in einem Interview

Wie hat deine Erkrankung die Suche nach einer Ausbildung beeinflusst?

Seit meinem zehnten Lebensjahr leide ich an einer neurologischen Erkrankung mit Geh- und motorischen Problemen. Das hat die Jobsuche sehr erschwert, mein Traumjob Kindergärtnerin sollte auf Grund der Gehbehinderung wohl ein Traum bleiben. Auch Jobs, die motorische Fähigkeiten erfordern wie Kassiererin fielen weg. Schnell war klar: Es kam nur ein Bürojob in Frage. Ich entschied mich für die duale Ausbildung Kauffrau für Büromanagement. Die Ausbildungsstelle bei der Lebenshilfe habe ich relativ problemlos gefunden.
Während dieser dreijährigen Zeit wurde ich vom Integrationsfachdienst betreut, dieses Amt arbeitet mit dem Arbeitsamt zusammen und kümmert sich unter anderen um die Genehmigung von Hilfsmitteln.

*Was kam nach der Ausbildung?*
Leider ist meine Erkrankung fortschreitend, während meiner Ausbildung haben sich auch kognitive Probleme gezeigt – ich habe sehr viele Flüchtigkeitsfehler gemacht, was auch meiner Meinung nach der Grund war, weshalb ich nicht übernommen wurde.
2018 schloss ich meine Ausbildung mit „gut“ ab, doch die Jobsuche sollte sich schwieriger gestalten als gedacht.
Ich schrieb an die 100 Bewerbungen – leider erfolglos. Da man mir meine Gehbehinderung zu diesem Zeitpunkt leider angesehen hat, konnte ich sie in der Bewerbung nicht verschweigen…
Ich denke, dies hat zu der Erfolglosigkeit geführt. Zwar hatte ich auch einige Vorstellungsgespräche, aber in einem wurde mir offen gesagt, dass sie mich wegen meiner Behinderung nicht einstellen: Ich war sogar zum Probearbeiten dort, was auch super geklappt hat, doch die Personalchefin meinte „Ich habe Bedenken wegen Ihrer Behinderung“ – ein Satz, den ich gar nicht verstehe. Zwar muss man mir Sachen öfter erklären als einem Gesunden, aber ansonsten bin ich auch nicht dümmer…

*Wo hast du in dieser Zeit aktive Hilfe bekommen?*
Als ich schon kurz davor war aufzugeben, bin ich im Internet auf ein Mentoring Programm für Menschen mit Behinderung gestoßen. Dort werden „Mentoren“ gesucht, also Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderung Bewerbungstipps geben. Nach Kontaktaufnahme mit dem Initiator wurde auch schnell eine Mentorin für mich gefunden. Sie war Personalerin in einem großen Unternehmen, wir sprachen alle zwei Wochen telefonisch. Der beste Tipp den sie mir gegeben hat, war, dass ich mit der Erkrankung offen umgehen soll. Bisher war ich eher zurückhaltend gewesen, wenn es darum ging, meine Behinderung zu thematisieren.

*Nach vielen Rückschlägen gab es endlich einen Lichtblick. Welcher war das?*
Mit neuem Selbstbewusstsein bewarb ich mich bei einer privaten Arbeitsvermittlung in Münster. Kurz darauf meldete sich ein Mitarbeiter telefonisch bei mir, um meine beruflichen Wünsche abzuklären. Ich war positiv überrascht von seinem Engagement. Er schickte mir fast täglich eine Mail mit potenziellen Stellen. Nach Rücksprache mit mir stellte er mich bei diesen Unternehmen vor. Eines Tages war ein Callcenterjob dabei. Ich sagte ihm ehrlich, dass ich mir so etwas nicht vorstellen kann (eine Bekannte arbeitet im Verkaufsbereich und hat mir auf Grund des Verkaufsdrucks davon abgeraten).
Der Arbeitsvermittler empfahl mir dennoch, mich dort vorzustellen. Frei nach der Devise „nein sagen geht immer noch“. Im Nachhinein bin ich ihm sehr dankbar, dass er mich überredet hat, denn das ist mein Traumjob in meinem Traumunternehmen :-).

Im Vorstellungsgespräch wendete ich auch die Tipps an, die ich vorher von meiner Mentorin bekommen hatte. Sie hatte mir zum Beispiel zu diesem Satz geraten: „Sie können alles zu meiner Erkrankung fragen, ich finde, man kann berufliche Beziehungen nicht auf Lügen aufbauen“. Diese Offenheit und mein neues Selbstvertrauen waren die Gründe, die meine Chefin laut ihrer Aussage dazu bewegt hat, mir eine berufliche Chance zu geben.
Ich arbeite jetzt schon seit 2019 dort, mit meinem Betreuer von der Arbeitsvermittlung habe ich bis heute (Juli 2020) noch Kontakt. Er unterstützt mich weiterhin bei Problemen im Job.

Für einen Arbeitsvermittler benötigt man einen Vermittlungsgutschein, den man von der Agentur für Arbeit bekommt.

*Welches Fazit ziehst du aus deinen Erfahrungen?*
Auch wenn es durch meine Behinderung sehr schwer war, einen Job zu finden, haben mir einige Angebote sehr geholfen. Das Mentoring und mein Arbeitsvermittler haben mein Leben zum Positiven verändert. Deshalb rate ich allen, sich Hilfe zu holen und den Weg nicht alleine zu gehen.

Nützliche Links für andere Jobsuchende mit Behinderung:

Autorin / Autor: Redaktion/  sternchen96 - Stand: 20. Juli 2020