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Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Laura Grabowski, 21 Jahre

Als ich auf die Erde kam, war rot.
Unbarmherzig und heiß, Leben unmöglich. Doch ich blieb. Was mich dazu getrieben hat? Ich kann nur raten – vielleicht Neugierde auf das, was kommen sollte? Die Hoffnung, dass irgendwann alles besser wird, oder zumindest anders?

Ich blieb, und meine Geduld zahlte sich aus.

Rot wurde zu braun.
Feuer zu Stein.
Magma zu Fels.

Hätte ich Beine – ich wäre zum ersten Mal in der Lage gewesen, auf festem Boden zu stehen.

Und dann kam das Wasser. Nicht weniger unbarmherzig als das Feuer, und doch ungemein gastfreundlicher. Ich wurde aufgenommen, dunkel und wohlig umarmt, und so verbrachte ich zahllose Jahre schwebend im Blau. Ich zog meine Kreise um den Erdball, beobachtete Ebbe und Flut, das Zusammenspiel von Erde und Mond, Tag und Nacht.

Schwerelos war ich auch an Land, ja, doch kann die Luft einen so bedingungslos willkommen heißen? Kann man sich auf ihrer Oberfläche niederlassen und schaukeln und in der Sonne wärmen? Immer in der beängstigenden Gewissheit, dass unter dir Nichts ist, und Alles?

Denn viel mehr gab es für mich nicht zu tun, damals. Ich lebte, das war alles was zählte, und ich war allein.

Bis die Pflanzen kamen und den grauen Stein mit einem grünen Teppich überzogen. Auch ins Wasser drangen die Pflanzen vor, und ich war nicht mehr allein. Die unerwartete Gesellschaft stellte mich vor neue Herausforderungen. Pflanzen mögen zuerst stumm erscheinen, doch das sind sie nicht. Zugegeben, ihre Sprache ist leise und schemenhaft, und es hat mich einige hunderttausend Jahre gekostet, sie zu verstehen. Aber es ist möglich, und es lohnt sich.

Einfacher zu erlernen war die Sprache der Tiere, die von den Pflanzen mitgebracht wurden. Tiere sind laut und direkt und sie ergänzten die bis dahin stille grüne Welt perfekt. Ich zögerte und haderte, doch schließlich verließ ich die Sicherheit des Meeres, denn das Leben an Land gestaltete sich zunehmend interessanter als jenes im Wasser, umso mehr, als aus den Tieren Menschen wurden.

Zu Beginn waren sie den Tieren so ähnlich – laut und direkt, aber auch rücksichtsvoll und stets darauf bedacht, für alles was sie nahmen auch zu geben. Sie brachten Fantasie in die Welt, erschafften Kulte, Götter, Legenden, und ich war eine davon. Ich war glücklich. Ich war nicht mehr allein, und hatte meine Nische gefunden in dieser wachsenden Welt, die alle paar tausend Jahre neue Überraschungen für mich hervorbrachte, eine kurioser und perfekter als die andere. Mit Mammuts trotzte ich Schneestürmen, flog mit Wandertauben und tauchte mit Schnabeltieren. Menschen, Tiere, Wasser, Pflanzen – was könnte ich mehr wollen? Strahlende Tage wechselten sich mit dunklen Nächten ab, ein ewigwährender Kreislauf, Jahr für Jahr, unendliche Reisen um die Sonne.

Was ist passiert?
Was ist passiert?
Ich war glücklich.
Rot war zu braun geworden, braun zu blau, blau zu grün.

Und ich war glücklich gewesen, flüchtiger Gefährte für die Tiere, Legende für die Menschen.

Doch wir entfernten uns voneinander. Sie vergaßen mich, und mir fiel es immer schwerer, ihr Handeln noch gutzuheißen. Der ewige Kreislauf lief unaufhaltsam weiter. Das Grün wurde weniger, wurde viel zu oft wieder zu braun, zu grau, verdrängt oder domestiziert.

Er sollte mich nicht stören, der Lauf der Dinge, denn meine Existenz bedroht er ohnehin nicht. Ich liebe die Menschen. Ohne sie wäre ich nichts, würde vermutlich immer noch einsam und vagabundierend im Wasser treiben.

Doch sie sind dumm.
Seht ihr denn nicht, was ihr tut?

Ich wäre nichts ohne euch, das ist wahr, doch ihr seid auch nichts ohne die Tiere, die Pflanzen, die Erde.

Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten, hier zu viel Wasser, dort gar keines mehr, und sie schlingert immer weiter in eine ungewisse Zukunft. Nein, in eine gewisse Zukunft. Die Pflanzen siechen dahin, und sie nehmen die Tiere gleich mit, und sie werden auch euch mitnehmen. Wer nur eine Heimat hat, sollte sie nicht mit Füßen treten.

Tausend Jahre sind nichts, ein Staubkorn in der Sanduhr der Evolution, auch fünftausend Jahre sind nichts, selbst drei Millionen. Und doch habt ihr es in dieser Zeit geschafft, zahllose Entwicklungen zunichte zu machen. Werde ich meinen ersten Weltuntergang erleben, nach so vielen Jahren des Staunens und Genießens? Kann ein Kreislauf ein Ende haben? 
Ich werde bleiben und still beobachten. Ich kann nicht eingreifen, und selbst wenn ich es könnte, ich würde es nicht tun, denn aus Fehlern lernt man. Aber wer wird noch übrig bleiben, um aus euren Fehlern zu lernen?

Ich weiß, ich klinge verbittert. Manchmal wünsche ich mich zurück in den Schoß des Meeres. Ich habe viel gesehen, ich bin müde. Und vielleicht habe ich Unrecht, vielleicht ist es noch nicht zu spät. Wie sagt ihr? Die Hoffnung stirbt zuletzt? Ich werde beobachten, ihr müsst handeln. Vielleicht werde ich euch doch hier und dort ein wenig unter die Arme greifen, doch es liegt an euch. Pflanzt, schützt, liebt! Erzählt und singt und klärt auf! Wenn ich in die Zukunft blicke sehe ich-
Grün wird zu braun, und braun irgendwann wieder zu rot, Fels zu Magma. Oder doch wieder zu grün?

Seht ihr denn nicht?

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