Eine digitale Welt

Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von Christina, 20 Jahre

Ein digitales Abenteuer muss her, wir langweilen uns. Ständig on, poppen immerzu die Messages, Kai der Süße schreibt im Minutentakt, wir flirten, oder ist ihm auch nur langweilig? Franziska, meine Fränzel, kriegt hingegen ihre Bankauszüge alle 10 Minuten, weil sie was verdient – online – und die Bank jeden neuen Kontostand quittiert. Wer hat mehr Spaß, haben wir überhaupt Spaß? Upcounting likes ebenso wie die Kontostände, ein ganz normaler numerischer Alltag. Eine Grenze muss übersprungen werden, ein Abenteuer mit unseren Smarts (Smartphones), aber wie?

Wir sehen unsere Räder. Gemeinsam haben wir eine Eingebung, Blindflug müßte möglich sein, wie ein Flugzeug, unsere Smarts, mit viel mehr Rechenpower als Apollo hatte, lass es uns versuchen. Ein ebenes Stück Radweg, vier Kilometer immer geradeaus, ist die Teststrecke. Pilotin wollte ich schon immer mal sein, chice Uniformen tragen, und mit manikürter Hand das Steuerhorn ergreifen, die im Flugkörper innewohnende Kraft machtvoll lenken, sanft und bedächtig in die Kurve gehen, Frauenpower wird erst möglich durch die Technik.

Fränzel will hinten sitzen auf dem Gepäckträger, ich lenke also, na wer sagts denn! So radeln wir zu zweit auf dem Fahrrad, ohne hinzusehen, ich meine auf den Weg, sehen nur das Display, Googlestreetview GPS, Kompass, Wasserwaage, Fränzel dirigiert mich, ich hingegen flirte weiter mit dem Kai, tippe nur mit meinem rechten Daumen Icons ein und simse ihm was wir machen – cool sind wir, mein süßer Kai.

Dann simst Fränzel mir und ich ihr, wir radeln immer noch. Hey das geht! Wir summen voller Freude, simsen uns und Kai, dazwischen Datenströme über Lage, Richtung, Position, schon der erste Kilometer hinter uns, ich trau mich schneller. Eine Klingel vor uns warnt, ich schau zum ersten Mal nach vorn, einer radelt und zeigt den Vogel, tja, women in experiment, das kannst du nicht verstehen. Zwei Kilometer. Drei Kilometer. Hey, das geht echt!

Kai will mit mir tanzen gehen, mein Herz pocht wild, welches Kleid, Make-up? Ich kann so schnell nicht simsen, ich juble Fränzel hinter mir die schöne Nachricht, sie reißt die Arme hoch, um mich von hinten zu umarmen, wir flatschen hin nach rechts... die letzte bekannte Position wird angezeigt direkt im Sprung der Smartphonefenterscheibe. Mein Kai, ich träume Küsse und wir lachen wild als wir so am Boden liegen, ich freu mich schon aufs Display seiner blauen Augen.

Aber immerhin, Pilotin und Navigatorin haben drei komma zwei Kilometer geschafft mit der geballten Rechenpower, multitasking, multithreading, chatting, simsen, Kontostände, flirten, insgesamt fast ein Gigabyte. Wir lieben unsere völlig digitale Welt, Abenteuer inbegriffen.