Daumen raus

Einsendung zum Wettbewerb Acker, Algen, Algorithmen von Louisa Winter, 18 Jahre

Ich halte meinen Daumen raus, „Richtung Zukunft“ in der Hand, einer Einbahnstraße zugewandt
Erst nach Jahren hält jemand an, kurioses Vehikel, bin vielleicht penibel
„Mein Auto fährt auch ohne Wald“ auf der Heckscheibe als Sticker, „denn im Tank ist nur Bioabfall.“
Dachbegrünung zwischen der Reling, ein Bienenstaat, ein surrendes Konzert auf der Wucherwiese
Ein grünes Auto in Rot, Platz für acht Milliarden Menschen auf der Rückbank, am Steuer: ein_e Undefinierbare_r
Leises Bremsen der Löwenzahnreifen, macht mich skeptisch: Funktioniert das denn? Zurück zu Altbewährtem, solange noch etwas da ist?
„Steig ein, auf dem Beifahrersitz ist noch Platz“, schallt es und ich löse mich vom Asphalt, verliere den Halt, die Gegenwart vom baumlosen Wald
Weiches Holz an meiner Haut, rindenfrei, wie Wolle, nur besser
Rückenwind durch Sonnenenergie, durchdringt den Lack, tropft ins Autoradio, neuer Saft
„Wohin seid ihr des Wegs“, frage ich, arglose Blicke, zuckende Schultern
„Ins Bessere“, flüstert es von der Rückbank, zustimmendes Nicken, hoffendes Schweigen, nur das summende Dach macht Krach, sonst
Stille
Lautlose Reifen aus dem Asphalt, Erwartungen an das Bald
Und wenn ich in den Rückspiegel seh, sind da Betonwolken und Wolkenfabriken
Nur Wasserstoff, hatte man gesagt, ja ja, nur Wasserstoff, der färbe den Himmel grau
Strom gelb wie Mais soll fließen, so der Plan
„Und wie weit ist das von hier? Ihr fahrt nicht schnell.“
„Eile mit Weile, wir kommen schon an.“
„Dann fahrt doch schneller“, fordere ich den Druck aufs Pedal, und die Passagiere halten den Atem an und das Mobil beschleunigt
Und mit ihm die Kulisse und die Straße wird enger, keine Allee, ein Wall aus Mais, manipuliert
Drohnenflotten am blauen Himmel, Krieg um Expanison, Biomasse in der Masse, Staub
Wasser nicht mehr in Sicht, Straße weicht dem Staub
Monokultur in der Steppe
Das Summen auf dem Dach erstirbt, ich höre die Blumenwiese zerknuspern und zerbrechen, alles trocknet, Hungerschreie, wo sind unsere Arten?
„Was geschieht hier?“, frage ich, ist das die Zukunft?
„Wir fahren zu schnell, Blindflug nennt man das dann wohl!“, spricht man neben mir
„Das habt ihr jetzt davon“, krächzt es von der Rückbank, „denn Vollgas bringt uns auch nicht weit!“
Ein Bremsschlag, Körper wuchten sich aus Natursitzen, hinein in Gurte aus Spinnennetz, das kam plötzlich jetzt, klebe fast am Plexiglas
Rollen wieder ganz beschwingt und mithin nicht mehr von Mais umringt
„Du hast die Chance gesehen, aber du musst die Bedingung verstehen.“
„Sprecht doch deutlich, was soll das heißen?“, ärgere ich mich, denn welches Risiko kann diese Revolution bergen, die doch nichts Geringeres als die
Zukunft
nur sein kann? Nachhaltiges Leben überall macht seinem Namen doch alle Ehre?
„In altem Tempo kann niemand fahren, sonst ist der Tank der Umwelt bald leer
ist der Biodiversität Ende, ist ein Kampf um Wasser und Gelände.
Dein Fahrstil hat einen hohen Preis, denn du gibst
der Chance keine Chance, wenn du sie vertust, nur weil du auf großem Fuß leben willst.“
Ein Anflug von Schuld, ich blicke aus dem Fenster, gemächliches Wachstum vor meiner Linse, Bäume sprießen, Biozönosen gründen sich, bunte Felder ragen empor, Diversität zergeht mir auf der Zunge, denn ich erkenne nun
Achtsamkeit
sitzt am Steuer, und mir wird klar, da ist kein Platz für Gier und Überfluss im Kofferraum, doch wenn jede*r nur das Nötigste nimmt, ist ein Lebens(t)raum für alle da
Die Straße Richtung Zukunft bauen wir, alle, nicht sie, die anderen
Wir fahren einem klarenden Himmel entgegen, keine grauen Wolken, keine Mauern aus Monokultur, mehr Sonne mit jedem Meter; mit grünen Dächern, Wind in Rädern und in Segeln, Wärme nicht aus Bäumen, sondern aus Licht
Ein Fahrplan aus Bananenblatt knistert im Hintergrund und ein weiterer Passagier wird mir deutlich
Balance flüstert Achtsamkeit etwas zu, unverständliche Musik in meinen Ohren, vielleicht Richtungsanweisungen, in die gespannte Stille hinein
Leitpfosten, planetare Grenzen, markieren den Weg, bevor uns unser Konsum vom Weg abbringt, und als ich merke
Vielleicht reicht mir mein begrenztes Gepäck, denn diese Erde ist alles, was wir haben
Lockert sich der Spinnennetzgurt, lässt uns Luft zum Atmen
„Wir fahren wahrhaftig ins Bessere“, erkenne ich an, zustimmendes Schweigen, und ich genieße meine Mitfahrgelegenheit, obgleich ich nicht so schnell vorankomme wie erhofft
Obgleich ich anders denken muss, um der Chance eine Chance zu geben
Obgleich Lösung und Problem in den gleichen Körpern stecken
Ich halte meinen Daumen hoch, Richtung Zukunft

Zurück