Die Psychologie der Radikalisierung

Forscher_innen der New York University Abu Dhabi untersuchten, was Menschen dazu bringt, sich gewalttätigen ideologischen Gruppen anzuschließen

Was bringt Menschen dazu, sich gewalttätigen ideologischen Gruppen anzuschließen und sich an Grausamkeiten und Terrorakten gegen andere zu beteiligen? Ist es die verzweifelte Suche nach einer vermeintlich besseren Welt? Das Bedürfnis, seine politische Überzeugung schnellstmöglich durchzusetzen und dafür allen "Gegner_innen" größtmöglichen Schaden zuzufügen? Oder die pure Lust an Gewalt, Tod und Zerstörung? Jocelyn Bélanger, Assistenzprofessorin für Psychologie an der New York University Abu Dhabi (NYUAD), hat in ihrer Forschungsarbeit die Frage nach ideologischer Besessenheit untersucht und sieht in ihr eine Form von Suchtverhalten.

In der neuen Studie "The Sociocognitive Processes of Ideological Obsession: Review and Policy Implications", die in der Fachzeitschrift Philosophical Transactions of the Royal Society B erscheint, stützt sich Bélanger auf Erkenntnisse, die sie in verschiedenen Kulturen und Ideologie-Umgebungen gesammelt hat. Sie fand darin vier Prozesse ideologischer Fixierungen, die Menschen dazu bringen, im Namen ihrer Weltanschauung gewalttätig zu werden.

Den ersten beschreibt die Wissenschaftlerin als eine Art moralischer Loslösung. Dabei deaktiviere die Fixierung auf eine Ideologie moralische Selbstkontrolle und -regulierungsprozesse. Die Folge: Eine Person kann sich unethisch verhalten ohne zu zweifeln oder sich selbst Vorwürfe machen zu müssen. Der zweite Prozess sei schlicht Hass: Von einer Ideologie besessene Menschen seien permanent in einer Selbstverteidigungsposition und fühlten sich schnell durch Aussagen bedroht, die an ihren Überzeugungen Kritik übten. Dies führe zu noch größerem Hass und letztendlich potenziell zu einer gewalttätigen Racheaktion. In einem dritten Schritt verändere die ideologische Fixierung die sozialen Interaktionen der Menschen. Die Betroffenen fühlten sich zu Gleichgesinnten und Netzwerken hingezogen, die ähnlich denken wie sie und Gewalt unterstützten. Letzten Endes entwickelten diese Menschen dann psychologische Muster, die sie immun machen gegen Versuche, sie von der Gewalt abzubringen.

Wie können wir dann aber Radikalisierung verhindern und bekämpfen? Dazu müsse man dieses Verhalten als eine Abhängigkeit von einer Ideologie verstehen, gleichsam wie eine Sucht, so die Forscherin. Die Ursache dafür sieht sie einem Gefühl, persönlich unbedeutend zu sein. "Herkömmliche Ansätze, wie der Versuch, Informationen zu vermitteln, die der hasserfüllten Ideologie einer Person entgegenwirken, sind nicht nur zwecklos, sondern oft kontraproduktiv. Um Menschen von ideologisch motivierter Gewalt abzubringen, müssen wir uns auf ihre psychologischen Bedürfnisse, wie Sinn und Zugehörigkeit, konzentrieren und ihnen helfen, ein reicheres, befriedigenderes und ausgeglicheneres Leben zu führen."

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