Das Vermächtnis der Butterblume

Einsendung von Erik Klüssendorf-Mediger, 22 Jahre

Es begann mit der Ermordung der Butterblume. Ein Stöckchen sauste. Wupp, flog der Kopf ab. Perplex stand A. da. Die Ekstase hatte sich gelegt. Der Kopf; regungslos am Boden. Verstört betrachtete A. ihn und ihm wurde mulmig zu Mute. Misstrauisch gegenüber sich selbst, warf er das Stöckchen weit von sich. Kein triftiger Grund hatte A. zu der Ermordung bewogen, es war nur ein inwendiges uneinordbares Gefühl, welches in A.s Innerem aufbegehrte und zugleich ausgelebt werden wollte.

Am liebsten hätte A. sein Haupt verborgen. Deshalb rannte er mit gesenktem Kopf davon. Aber nach ein paar Schritten hielt er wieder an, denn ihm wurde die Ausweglosigkeit seiner Situation bewusst. Kein Versteck schien ihm geeignet. So legte er sich mit ausgestreckten Armen und Beinen auf den Boden der Lichtung, kniff die Augen zusammen und wartete auf seine Bestrafung. Nach einer Weile öffnete er zunächst das eine, dann das andere Auge, schaute sich verwundert um, nahm das Stöckchen wieder zur Hand und stupste mit dessen Spitze zögernd gegen den abgetrennten Kopf. Keine Reaktion. Bänglich schaute A. sich nach allen Seiten um. Nichts. Nach einem kurzen unbehaglichen Lachen dachte A., eh das weiße Blut der Butterblume gänzlich geronnen war, dass seine schändliche Tat wohl ungesühnt bliebe. »Dafür  muss es einen Grund geben.«, dachte er und versprach sich, dass die nächste geköpfte Blume ihn nicht mehr verstören sollte.

Um dieses Versprechen zugleich zu erproben, sauste das Stöckchen erneut. Wupp. Da flog der Kopf ab. Wieder nichts. Es folgte der Nächste und Übernächste bis die letzte Butterblume geköpft war. Nichts als rein gar nichts passierte. So bläute es ihm allmählich ein, dass es wohl die natürlich Ordnung der Dinge sein müsse. Von da an pfiff A. auf sämtliche Butterblumen. Doch das Gefühl war noch nicht gestillt und begehrte schon das nächste Opfer, welches die natürliche Ordnung erproben sollte.
Es dauerte nicht lange bis ein Lamm A.s Weg kreuzte. Zack. Die Ekstase hatte sich wieder gelegt. Der Körper; regungslos am Boden. Das Lamm war dahin und ehe er seine erneut erfolgte Tat gänzlich realisierte, übermannte ihn bereits dieselbe Bestürzung sowie Furcht und Nachdenklichkeit wie zuvor. Ihn schien das in den Boden versickernde Blut mahnend anzuschreien. »Dieses Mal muss ich zu weit gegangen sein.«, dachte A.; fiel auf die Knie und machte sich für seine Bestrafung bereit. Doch trotz all dieser Dinge: Nichts.

Auf der Suche nach einer Antwort erschien es für den Unbeholfenen letztlich plausibel, dies als Konsequenz der natürlichen Ordnung eines höheren Prinzips zu verstehen. Seine Unversehrtheit konnte demnach auch nur an seiner besonderen Rolle in der Welt liegen, weshalb sich A. selbst zur Krone der Schöpfung erklärte. Mit dieser in ihm verankerten Vorstellung ließ sich A. nieder und beanspruchte das sich vor ihm erstreckende Land als seinen Garten. Dies verstand A. als sein gutes Recht und begann sonach mit der Teilung der Welt. Dabei teilte A. auch die Pflanzen in Nutzpflanzen und Unkraut, die Tiere hingegen in Nutztiere und Ungeziefer ein, wobei er die einen jeweils billigte und die anderen verabscheute.

Er lernte schnell und schon bald erkannte er, wie er sich zugleich der einen bemächtigen und der anderen entledigen konnte. Dazu sammelte er zunächst verschiedenste Samen und Jungpflanzen, welche er als würdig erachtete, und verschwendete daraufhin ein Stückchen seines Landes unter Einsatz eines Feuers. Dann säte der Ordnungsliebende die Samen der einen Art auf einen Acker und die einer anderen auf den Nächsten. Die Jungpflanzen grub er in regelmäßigen Abständen –jede zu den seinen– in das jeweilige Feld. Die verbliebene Asche diente ihm dabei als Dünger. Die nutzbaren Tiere hingegen fing er ein und sperrte sie hinter Zäune, sodass er sich stets ihrer bedienen konnte.

Die Zeit zog ins Land und die Felder erblühten. Als die goldene Herbsteszeit begann, bestellte er die Felder und holte die üppige Ernte seiner Arbeit ein. So wurde A. wählerischer, denn was seinen Ansprüchen nicht mehr genügte, verschmähte er fort an. Im Frühling begann dann die Bewirtschaftung seines Landes erneut. 
Dies ging gut bis zu jenem schicksalhaften Jahr, denn seine Felder gaben ihm ihre Kraft nicht mehr. Die ersten Pflanzen erkrankten. Statt dem saftigen Grün der Blätter zeichnete manche eine Blässe, andere waren hellgelb oder zudem fleckig und wiederum andere zeugten von braunen Blatträndern. Die Bäume hingegen wiesen Risse, Wunden gar faule Stellen auf oder ihre Rinde schälte sich großflächig ab. Doch als die ersten Pflanzen starben, interessierte ihn dies wenig, sondern brannte sie nieder. Aber auf dem Land wollte kein Samen mehr spießen. Deshalb lebte A. von seinen Vorräten und nachdem die letzte Frucht und das letzte Tier verspeist waren, kehrte er zurück auf seinen Acker, um noch etwas Essbares zu finden. Doch er fand nichts was ihm beliebte.

In seiner Verzweiflung drang plötzlich das Gurren einer Taube zu ihm. Diese saß unbemerkt auf einem vertrockneten Ast und beäugte ihn. Ihm war, als ob die Taube ihn verhöhnte. Deswegen nahm er sich einen Stein und warf ihn nach ihr. Doch A. verfehlte sein Ziel.  Die Taube breitete daraufhin ihre Schwingen aus und erhob sich in die Lüfte. Anklagend rief A. gen Himmel. Nichts. Erzürnt schlug er mit der Faust auf den Boden. Nachdem sich seine impulsive Ader entspannt hatte, betrachtete er das ausgelaugte Land.

Stumm mahnend erstreckte sich soweit das Auge reichte seiner Hände Werk und A. erkannte, dass sein ehemals blühender Garten nichts mehr zu seiner Dolce Vita beitragen konnte. Doch seit A. von dem süßlichen Nektar seines Lebenswandels gekostet hatte, reichte ihm dies nicht mehr zum Verzicht, denn A.s inwendiges Gefühl begehrte abermals in seinem Innerem auf. Deshalb fasste er einen Entschluss. So zog A. fort, um im Schweiße seines Angesichts ein Land zu finden, dass seinen Bedürfnissen gerecht werden würde. Ohne zu wissen, wohin es ihn noch führen würde.