Lost in future

Einsendung von Emila, 13 Jahre

Wie jeden Morgen wurde ich auch an jenem Morgen von dem altbekannten Geräusch meines unbarmherzigen Weckers wach. Etwas war anders als sonst, ich konnte es förmlich spüren.
Damals wusste ich noch nicht, was es war, doch heute weiß ich es!

Es war der Tag, an dem meine Oma für immer von uns ging. Schon am Morgen hatte ich ein mulmiges Gefühl, doch konnte ich es nicht einordnen. Zuerst hielt ich es für Hunger, totaler Quatsch im Nachhinein, aber woher hätte ich wissen sollen, wie sehr dieser Tag mein Leben verändern würde?!
An jenem Nachmittag fing alles an…
Ich erfuhr, dass meine Oma im Sterben lag und meine Mutter gemeinsam mit meinem Bruder hingefahren war. Zuerst realisierte ich nicht, dass sie weg sein würde, ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Mensch einfach von dem einen auf den anderen Moment nicht mehr da sein könnte. Als ich begriff, was das bedeutete, musste ich erst einmal schlucken, dann begann ich ungehindert zu schluchzen.

In den drei Monaten, die seitdem vergangen sind, war viel passiert. Das alles lasse ich mir jetzt, während ich hinter der Tür stehe und dem Gespräch zwischen meiner Mutter und meinem Onkel lausche, durch den Kopf gehen. Ich denke an die Trauerfeier, mit den vielen Menschen, die ich noch nie gesehen hatte, an die vielen Gespräche, was passiert wäre wenn… und schließlich dann vorgestern die Testamentseröffnung. Heute sind alle beisammen, im Haus meiner Oma, um alte Kisten durchzuschauen. Ich war für eine Kiste zuständig und durfte mir aus dieser etwas aussuchen. Ich habe alles gründlich durchgeschaut, bis ich ein unscheinbares Notizbuch entdeckte. Zuerst dachte ich, es wäre ein Tagebuch und es erschien mir zu privat, um es zu lesen, doch dann entdeckte ich merkwürdige Zeichnungen am Rand und entschied mich, es später genauer unter die Lupe zu nehmen, sobald ich alleine war.

Während ich vom Dachboden hinabstieg, hörte ich meine Mutter und meinen Onkel aufgeregt diskutieren. Eigentlich bin ich nicht der Typ, der Gespräche belauscht, doch das ist auch nicht nötig, so laut, wie sie sprechen.
Ich näherte mich auf Zehenspitzen der Küche, um nicht entdeckt zu werden, und hockte mich hinter die Tür, um ihrem Gespräch zu folgen. Denn wie es scheint, geht es um meinen Großvater, den ich selbst nie kennengelernt habe. In meiner Familie wurde bisher grundsätzlich das Thema „Opa“ vermieden, warum, weiß ich nicht, aber hier etwas über ihn zu erfahren, macht mich zugegeben neugierig. „Was kann ich dafür?“, höre ich meinen Onkel rufen.
„Nichts aber findest du nicht, dass -“ „Das was?“, unterbricht er Mama zunehmend gereizter.
„Immerhin war er dein Vater!“, versucht sie ihn zu beschwichtigen. „Dieser Mann war alles, aber nicht mein Vater! Er hat uns im Stich gelassen“, inzwischen schreit er schon fast. Erschrocken, dass er so über seinen Vater redet, stoße ich einen schockierten Schrei aus. Der Kopf meiner Mutter erscheint an der Tür: „Bea?!“, fragt sie ungläubig. „Wie lange sitzt du hier schon?“, es ist mir peinlich, dass ich gelauscht habe und noch so dumm bin, entdeckt zu werden. Ich stehe auf. „Ich geh dann mal hoch“, druckse ich hervor. „Du bleibst hier, Fräulein!“, ruft meine Mutter mich zurück. Ich zeige mein schönstes Lächeln und sie gibt auf: „Na gut, wir klären das morgen! - Und jetzt ab ins Bett“, ruft sie mir noch hinterher, als ich mich gerade umdrehe.

Oben angekommen, ziehe ich meinen Pyjama über und kuschele mich ins Bett. Da fällt mir das Notizbuch wieder ein und ich ziehe es hervor. Bei genauerer Betrachtung stelle ich fest, dass es von meinem Großvater sein muss. Ich schlage eine Seite mit einer besonders großen Zeichnung auf und beginne zu lesen. Ich erfahre, dass er an einer Maschine schraubte, mit der er in die Zeit reisen wollte. Ich glaube nicht, was ich lese, denn Mama hatte immer erzählt, dass er sich gute Geschichten ausdenken konnte.
Diese Geschichte ähnelt dank der vielen Zeichnungen einem Kinderbuch, und so fesselte sie mich doch sehr. Ich blättere weiter, um noch mehr zu erfahren, doch da ist nichts mehr zum Weiterlesen. Es macht mich stutzig, warum hörte er auf, gerade als es so spannend wurde?

Entweder er hatte in einem anderen Buch weiter geschrieben, was aber komisch ist, weil noch viele leere Seiten folgen. Oder - was mir logischer erscheint - er starb vor der Beendigung seines Werks. Denn wie er gestorben ist, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht.
Ich blättere weiter, um zu schauen, ob es noch irgendwo weitergeht, doch ich finde nichts und während ich so da liege und überlege, fallen mir die Augen zu und ich schlafe ein.

Als ich bei Sonnenaufgang wieder erwache, liegt auf einmal ein Brief neben mir. Ich bin mir ganz sicher, ihn vorher noch nie gesehen zu haben.
„Hallo Bea!
Ich weiß, du kennst mich nicht, ich bin dein Großvater. Vor 20 Jahren ist es mir gelungen, in der Zeit zu reisen. Allerdings habe ich es nicht geschafft, zurückzukehren. Und ich kann erst Kontakt zur Vergangenheit aufnehmen, wenn jemand meine Aufzeichnungen entdeckt.
Mich selber allerdings kann ich nicht zurückbringen, jedoch bin ich mir sicher, dass wir zwei uns kennenlernen werden, wenn du älter bist, denn momentan lebe ich im Jahr 2050. Und ich muss dich  undbedingt warnen!“

Ich bin sprachlos! Wie kann das sein? Es kommt mir so surreal vor, als erlaube sich jemand einen Scherz mit mir. Doch ich lese neugierig weiter:
„Die Zukunft ist nicht besonders erstrebenswert! Es gibt kaum noch Grün auf der Welt, alles ist ferngesteuert, nichts ist mehr wie es war!
Bitte kämpfe dafür, dass mehr auf die Umwelt geachtet wird! Du bist die einzige Chance, du kannst etwas verändern! Du musst es nur wollen! - Vertrau mir, du kannst ein Vorbild für alle anderen sein!
Ich weiß, dass du es schaffst. Jeder einzelne kann die Welt verändern. Aufs Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel umsteigen ist ein Anfang! Die Zukunft braucht dich, werde aktiv! Dein Großvater“

In diesem Augenblick fasste ich einen Entschluss…