Brief an einen Menschen, der vor Tag 0 gelebt hat

Einsendung von Paula Nick, 15 Jahre

Hallo, Du Weltzerstörer,

ich schreibe dir aus einer Zeit, die du vermutlich nie erleben wirst. Wir befinden uns gerade in den Wochen nach dem 7. Mond seit dem 23. Winter. Tag 0 liegt also schon mehr als 23 Jahre zurück. In diesen 23 Jahren hat sich so einiges verändert. Im Grunde genommen alles. Von vielem kann ich dir nur aus Erzählungen berichten, da ich selbst gerade mal 11 Winter erlebt habe, aber ich werde mein bestes geben, dir alles genau zu schildern, damit du dein Verhalten ändern kannst.

Begonnen hat das hier alles mit dem berüchtigten Tag 0. Oder nein, begonnen hat es schon viele, viele Jahre zuvor, aber Tag 0 war der Tag, an dem sich die Erde gewehrt hat. Sie hat sich gegen dich und dein ignorantes Konsumverhalten gewehrt. Über Jahre warst du Tag ein, Tag aus damit beschäftigt, die Erde zu zerstören, sie auszurauben und die Natur mit all` ihren Ressourcen auf das Äußerste zu strapazieren. Du hast das Licht brennen lassen, obwohl es nicht nötig war, du hast Lebensmittel entsorgt, obwohl sie noch essbar waren, bist mit dem Auto mal eben wohin gefahren, obwohl es gar nicht nötig war oder du auch zu Fuß hättest laufen können. Damit bist du mit daran schuld, dass sich die Erde mehr und mehr erwärmt hat, dass die Natur aus dem Gleichgewicht geraten ist und das ganze natürliche System sich irgendwann gegen die Menschheit gewandt hat.
Du bist mit schuld an der Kettenreaktion! Du bist einer der Auslöser! Wegen dir ist das Eis an den Polen und auf den Gletschern geschmolzen, wegen dir sind riesige Mengen an Wasser verdampft und auch wegen dir sind dadurch heftige Stürme entstanden, die diese Unmengen an Wasser über die ganze Welt verteilt haben. Schlussendlich bist du also auch dafür verantwortlich, dass es zu diesen alles zerstörenden Wochen kam.
An Tag 0 hat es begonnen. Erst leicht, dann immer heftiger. Der Regen donnerte auf die Erde hernieder, zerstörte ganze Landstriche durch Erdrutsche, drang in die Häuser ein und überflutete alles. Mein Großvater spricht noch heute von Gottes zweiter Sintflut. Er erzählte mir, dass er und seine Familie schon nach wenigen Tagen keinen Strom mehr hatten, da es die Leitungen zerrissen hatte. Sauberes Trinkwasser gab es nur noch aus der Regentonne, alle Gewässer waren voller Schlamm und Schmutz. Innerhalb der ersten Wochen starben etliche Leute an Hunger, da man nicht mehr an Nahrungsmittel hatte, als das, was man noch im Vorratskeller hatte. Unzählige Menschen ertranken, wurden verschüttet oder nahmen sich in der Düsternis das Leben.
Als sich der Regen und der Sturm dann nach Wochen oder sogar Monaten –von den Älteren kann keiner mehr sagen, wie lange es wirklich gedauert hat- wieder legte, schlug das Wetter augenblicklich um. Kaum war der letzte Tropfen vom Himmel gefallen, schob sich die Sonne an den Himmel und brannte heißer denn je. Innerhalb kürzester Zeit trockneten auch jede noch so durchweichten Oberflächen aus. Dort, wo man sich nur Tage zuvor noch eine Erkältung geholt hatte, bekam man jetzt nur noch kaum frische Luft. Trinkwasser hatten jetzt nur noch diejenigen, die unterirdische Auffangbecken hatten, Regentonnen und Bäche waren innerhalb kürzester Zeit trocken und der Weg zum nächsten Fluss viel zu weit.
Meine Großeltern haben mit den Leuten aus ihrem Dorf, die noch am Leben waren, in einem tiefen verwinkelten Obstkeller gesessen. Dort unten gab es Wasser, dass man zum Bewässern der Plantagen genutzt hätte und außerdem Fruchtsaft, Wein und Schnaps. Auch wenn es nicht gerade angenehm war, ließ es sich dort einigermaßen aushalten.
Auch diese Hitzeperiode hielt einige Wochen an. Wochen, in denen viele weitere Menschen den Tod fanden.
Doch so richtig schlimm wurde es erst, als die Hitze nachließ und die Menschen alle wieder aus dem Keller hinaus konnten. Es herrschten Umstände wie in der Steinzeit. Die Gebäude, die noch standen, waren nicht mehr zu gebrauchen und man war auf das angewiesen, was man in den harten Wochen seit Tag 0 nicht verbraucht hatte, Aber vor allem musste man sich aufeinander verlassen. Alleine hätte es keiner geschafft, sich durchzuschlagen. Erstrecht nicht, während den Unwetterperioden, die noch immer jedes Jahr wiederkehren. Nur gemeinsam war es möglich, wieder eine Landwirtschaft ohne Maschinen aufzubauen, zu lernen, Tiere zu jagen, eine geeignete Höhle zum Wohnen zu finden – Hütten zu bauen bringt nichts, die könnten dem nächsten Unwetter nicht stand halten- und sich dem neuen Leben anzupassen. Denn unser heutiges Leben gleicht dem vor Tag 0 nur noch in den Grundbedürfnissen. Selbst die Erde hat sich enorm geändert. Über die Jahre hat die Natur sich viele der Gebäude, Städte und Dörfer wieder zurück geholt, sie hat sich erholt und findet mehr und mehr in ein Gleichgewicht zurück. Und auch in die Tierwelt versuchen wir nur noch einzugreifen, wenn es wirklich notwendig ist.
Mein Großvater hat mir außerdem erzählt, dass der Himmel seit Tag 0 viel blauer ist, da keine Abgase mehr in die Luft gepumpt werden. Wie es an den Polen jetzt aussieht, weiß von uns keiner. Generell wissen wir nicht, wie es anderswo auf der Erde aussieht, oder auch nur einige hundert Kilometer weiter. Aber auch wenn es mich manchmal interessiert, ist es mir doch meistens egal. Es geht nicht mehr darum, jeden Flecken auf der Erde gesehen zu haben. Auch viele Ziele und Orientierungen haben sich geändert. Es geht uns beispielsweise auch überhaupt nicht mehr um ständige Entwicklung. Im Gegenteil; die meisten von uns haben Angst, wieder in eine Welt zu kommen, wie sie einmal war. Viele von den Älteren sprechen davon, dass Gott uns mit diesem Leben hier eine zweite Chance gegeben hat. Die Welt, wie du sie vermutlich kennst, hatte eigentlich gar nichts mehr mit der zutun, die Gott seiner Zeit geschaffen hat. Wir wissen jetzt, was passiert, wenn wir uns in die falsche Richtung entwickeln, wenn wir vergessen, unsere Erde, unser Leben wertzuschätzen, wissen, dass es viele tote geben wird und wir werden es auch nicht vergessen! Und du darfst das auch nicht! Also fang an! Jetzt! Heute! Reiß dich in deinem Konsumverhalten zusammen! Informiere dich über bessere Möglichkeiten und bringe auch andere dazu, so zu leben. Denn vermutlich hast du nur die eine Erde, die eine Möglichkeit sorgsam mit ihr und ihren Ressourcen umzugehen! Du weißt nicht, was kommt, wenn mal alles ausgeschöpft ist, wenn es zu warm wird!

Autorin / Autor: Paula Nick