Die Suche

Einsendung von Yasemin Eycan, 24 Jahre

Ich hatte eine sehr fleischige Maus verschlungen. Die Jagd auf sie war ein kleines Abenteuer gewesen, das mich nicht viel Kraft gekostet hatte. Danach war mein einziger Wunsch ein ruhiges Örtchen zu finden, an dem ich mich ausruhen konnte. Wenn ich jedoch gewusst hätte, wie vielen Gefahren ich begegnen würde, dann hätte ich die Suche gar nicht erst begonnen.
Ich schlängelte mich durch Gebüsche, schlich auf dem Gras, zischte, als ich mich ins kalte Wasser des Flusses begab, suchte meinen Weg aus dem Feuchten, fand zurück auf das Festland und kam an einer Stelle an, die von der Sonne angestrahlt wurde. Ich blieb dort liegen und genoss die Wärme, die ich auf meiner glatten Haut spürte. Ich verharrte dort für einige Momente.

Zwischen dem hohen Gras zu liegen tat himmlisch gut, bis mich ein seltsames Gefühl überkam. Mir schien, dass etwas auf mich zukam. Ich spürte eine Gefahr näher kommen, deswegen spitzte ich mein Gehör und hielt mich bereit, die gemütliche Lichtung augenblicklich zu verlassen. Dann hörte ich ungeheuer laute Geräusche. Der Boden bebte. Wesen, die so viel Lärm veranstalteten, mussten viel größer sein als ich. Jeder Schritt von ihnen hinterließ ein ungeheures Zittern auf der Erde, auf der ich lag. Ich sah mich gezwungen, mich von meiner Ruhe zu verabschieden, da ich glaubte in Gefahr zu sein. Wie vermutet waren es zwei großen Wesen, von denen ich meinte, dass es Menschen waren. Auf die Menschen war ich bis jetzt in meinem Leben nicht allzu oft gestoßen.

Ich wartete aufmerksam, doch ich wurde den Gedanken nicht los, dass sie ebenfalls Notiz von mir genommen hatten. Da schrie plötzlich einer von ihnen. Dieser Schrei erschreckte mich so sehr, dass ich blitzschnell die Flucht ergriff und dabei ausversehen meinen Kopf an den Stein stoß, den ich bei meiner Ankunft gar nicht gesehen hatte. Ich wurde einige Zentimeter in die Luft gerissen. In dem Moment mussten sie gedacht haben, dass ich wohl auf sie zu springen wollte, aber ich wollte mich einzig und alleine aus dem Staub zu machen.

Der Mensch war nämlich zu fürchten. Er war stark und schlau. Er fing den Schwächeren ein und tötete ihn mit Leichtigkeit. Mit seinen Händen, seiner Körpergröße und seinem Verstand benutzte er Mittel, mit denen er aus jeder Jagd erfolgreich heraus kommen konnte. Man musste so fern von ihm sein, wie man nur konnte. Denn er war gefährlicher als jeder Feind, der auf dem Boden lauerte oder in den Lüften flog. Der Mensch konnte unversehrt giftige Schlangen fangen, die ihn in weniger Zeit hätten töten können. Der Mensch war ein unbarmherziger Mörder. So lange Leben existierte, würde die Jagd niemals aufhören. Er war das Übertier.

Trotz schmerzendem Schädel schaffte ich es zu fliehen. Glücklicherweise hatte es keiner auf mich abgesehen. Das waren wohl zwei friedliche Menschen, die nur zum Spazierengehen in die Wälder gekommen waren. Sie meinten vielleicht, dass ich sie mehr erschreckt hatte als sie mich, aber da irrten sie sich.
So kroch ich weiter und suchte mir einen neuen Platz. Zurück dort, wo der Sonnenschein nicht hinkam, kam mir der kühle Schatten eines Baumes äußerst angenehm vor. Ich schlängelte mich hoch, verteilte meinen Körper auf dem Ast und döste ein. Ich dachte wirklich, dass ich endlich das ersehnte, ruhige Örtchen gefunden hatte. Doch ich irrte mich.

Ohne, dass ich es geahnt haben könnte, spürte ich wie der Baum jede zehnte Sekunde bebte. Es fühlte sich wie ein Erdbeben an, nur verlor ich an Höhe. Bei jeder Erschütterung, brummte mir der Kopf. Ich versuchte herauszufinden, was los war. Dann erblickte ich erneut zwei Menschen, die unten am Baum herumbastelten. Einer hatte ein Werkzeug in der Hand. Seine Tätigkeit war der Auslöser für dieses Beben. Das hatte ich schon einmal gesehen. Die Menschen kamen in den Wald, um die Bäume zu fällen, auf denen wir lebten.
Ich spürte wie die Angst in mir hoch kroch. „Nichts wie weg hier!“, dachte ich mir nur. Doch wie sollte ich das tun? Ich sah mich um, nahm den Baum neben mir wahr, der noch nicht von irgendwem gefällt wurde, und schwang mich mit höllischer Angst hinunterzufallen und in die Hände der Menschen zu geraten, auf den Ast, der mir am nächsten erschien. Ich hatte Glück und schaffte es mich hinüberzuschwingen. Die Menschen hatten mich aus der Höhe und bei all dem Krach nicht bemerkt.

Nach diesem Vorfall wollte ich zurück zu meinem Nest. Ich versuchte mich so unauffällig wie möglich vom Baum hinunterzuschlängeln. Das gelang mir mit Erfolg.
So nahm ich meinen Weg wieder auf und kam an all den Orten vorbei, die mich zu der warmen Lichtung geführt hatten. Ich kroch auf dem Festland, legte mich ins Feuchte, um dann auf dem Wasser zu schleichen, durch den Fluss auf die andere Seite zu gelangen, spürte wieder das weiche Gras auf meiner Haut, schlängelte mich, jetzt sehr ermüdet, durch die Gebüsche und musste immer weiter schreiten, bis ich letzten Endes mein Löchlein fand.

Dieses Löchlein, das ich in die Erde gebuddelt hatte, war mein Heim. Ich war ganz traumatisiert von meinen Erlebnissen. Jedes Mal, wenn ich mein Heim verließ, setzte ich mich einer Gefahr aus, von der ich nicht wusste, ob ich heil aus ihr herauskommen würde. Nur das Jagen machte mir Spaß, weil dann die Beute mein Gewinn war.
Ich wollte mich in mein Löchlein begeben, als ich schmerzhafter Weise letztlich verstand, dass man es zu gebuddelt hatte. Nun war ich obdachlos geworden. Eine Familie hatte ich so wieso nicht mehr. „Waren das auch die Menschen gewesen?“, fragte ich mich. Wie wäre wohl das Leben der Bewohner des Waldes, der Täler, des Dschungels, der Bäche, der Deiche, der Flüsse, der Meere, der Seen, der Ozeane, derer, die wir in den Wüsten lebten, auf den Dünen, den Bäumen, den Palmen, in den Bergen, den Gebirgen und sonst wo, wo Tiere lebten, wenn der zerstörerische Mensch nicht existieren würde??

(Inspiriert von einer wahren Begegnung mit einer Schlange im Mai 2020, in Nizza/Frankreich)