Stampfen im Takt ihres Schreiens

Einsendung von Felina, 21 Jahre

Atmen. Sie lässt den Kopf langsam aus dem Dunkeln sprießen. Leise, unbemerkt und unbekümmert. Ganz unbeholfen wird der Kopf von links nach rechts bewegt. Stille, mit einem Luftzug an Freiheit. Und dann erkennt sie das Chaos: Lärm, Geschrei, aber gleichzeitig dieses ruhige Rauschen im Hintergrund.

Sie beginnt zu fühlen, zu leben, zu riechen, zu sehen. Ganz langsam, Schritt für Schritt und immer mehr und nach einigen Tagen ist es soweit. Sie könnte aufstehen und die Welt entdecken, oder eben liegen bleiben, platt und erschöpft von all den Eindrücken, die sie von ihrer Umgebung bereits erfahren hat.

Windzug, der ihren unschlüssigen Kopf von ihren Gedanken leert. Schatten, die sich über ihr ausbreiten, viele, schnell hintereinander. Immer lauter wird’s. Sie duckt sich im letzten Moment, kurz bevor sie erschlagen würde, kurz bevor sie der größten Angst ins Auge sehen müsse. Sie möchte sich nicht mehr erheben, sie möchte am liebsten weglaufen, aber ist gefangen in der Einsamkeit.

Um sich herum erkennt sie niemanden mehr. Alle haben sich geduckt, manche im richtigen Moment, andere zu spät und sie werden nie wieder dieselben sein. Man hört Schreie, man hört Gelächter, man hört alles was es zu hören gibt. Sie versteckt sich unter ihren kleinen, aber dennoch starken Armen und probiert sich zu beschützen…

Der Lärm wird im Laufe der Dämmerung leiser und verstummt letztendlich vollkommen. Sie wagt sich wieder heraus und steht leise und langsam auf. Sieht, was um sie herum geschah, als sie weg sah. Sie wird traurig und bekommt Angst. Links von ihr, wo sich heute Morgen noch ein Freund befand, findet sie jetzt etwas ganz anderes. Sie kann es nicht zuordnen und ist bestürzt. Wieso ist sie hier, wenn alles was ihr passieren kann, nur wie das grausame Ende ihres Freundes ist? Wieso probiert sie zu leben und zu arbeiten, ohne Ermüdung, wenn sie niemand hier haben möchte?

Von hinten kommt der Bote angeflogen, leise nimmt sie sein leises Brummen war: „Ich bin es, hab keine Angst.“

Sie erfreut sich an diesem Klang und ist für einen kurzen Moment so zufrieden, dass sie all die Grausamkeit vergisst. Die beiden Bekannten machen ihren üblichen Tanz und wissen, dass dies nicht für ewig so weitergehen wird. Sie verabschieden sich wie jeden Tag, als ob dies ihr letztes Wiedersehen war.

Sie erwacht, als erneut die Schatten über sie steigen und der Lärm unerträglich laut ist. Sie schreit in sich hinein und bemerkt, dass die Erde vibriert. Stampfen im Takt ihres Schreiens.

All dies wiederholt sich Tag ein Tag aus. Zur Ruhe kommt sie nur abends, für einige Stunden, bevor sie wieder geweckt wird. Freunde schwinden. Jeden Tag ein paar mehr. Der Bote ebenfalls. Die komischen Gegenstände um sie herum stapeln sich zu Bergen, die ihr die Sicht verderben. Sie macht sich Sorgen, weint und ist so einsam wie nie zuvor.

Aber heute ist es anders. Sie wird von keinem Lärm geweckt, sie steht auf und kann das erste mal ihren Kopf zur Sonne richten, das erste Mal atmen ohne Angst zu haben. Sie dreht sich hin und her und alle Freunde, Bekannte, die übrig gebliebenen erheben sich langsam. Langsam mit Vorsicht, langsam Tag für Tag. Sie können alle atmen und endlich arbeiten und leben, so wie sie es sich von Anfang an vorstellten. Sie alle leben ihren eigenen Traum.

Windzüge, die ihren Kopf leeren, Schatten, die so sachte an ihr vorbei wehen, dass sie keine Angst haben muss erschlagen zu werden.

Sie wächst jeden Tag, die komischen Gegenstände sind zwar noch da, aber sie erkennt, dass sie ihr nichts tun. Sie locken neue Freunde an und auch der Bote kommt mit seiner Familie vorbei. Sie hört sie aus weiter Ferne und lächelt erleichtert. Sie atmet ein und aus. Genießt das Leben, genießt die Geborgenheit und warmen Lichtstrahlen, die auf ihrer Haut kitzeln. Und wenn sie nach oben schaut, erkennt sie ein so starkes Blau, dass sie am liebsten nirgendwo anders hinschauen möchte.

Sie hofft, dass ihr Leben von nun an so bleibt.

Doch als sie am nächsten Morgen dankbar ihre Gedanken schweifen ließ, erkennt sie das Rauschen, was sie sehr lange nicht mehr wahrnahm. Es wird von Stunde zu Stunde lauter und sie bekommt Angst. Zu Recht. Angst, Schnappatmung und Schrecken, macht sich breit. Die direkten schwarzen Schatten, das Geschrei, schlimmer als zuvor. Schlimmer als das, was sie je erlebte.

Sie kämpft und wird böse. Sie kämpft und will laufen, aber bemerkt, dass sie an diesem Punkt gefangen ist. So duckt sie sich langsam hin. Versteckt sich unter ihren starken, aber dennoch schwachen Armen und zieht sich zurück. Die Gegenstände vermehren sich schlagartig und nach einiger Zeit ist alles wie es war. Ihr Traum verblasste, bis sie ihn nicht mehr greifbar hatte. Was hatte sie erlebt?

Warum kommen diese großen, beweglichen Statuen und Figuren? Warum sind sie laut und passen nicht auf sie und ihre Freunde auf? Warum muss sie hier weiter leben, wenn sie niemand haben möchte? Und warum um Himmels willen hilft ihr denn niemand?

Und während dieser Gedanken, ergreift sie ein stechender Schmerz. Sie schreit und spürt ein letztes Mal das Stampfen im Takt ihres Schreiens. Sie schaut ein letztes Mal hinauf in das verblasste Blau, spürt ein letztes Mal die Lichtstrahlen auf ihrer Haut. Sie weint und schaut sich noch einmal um. Sie hofft, dass der Bote ihr zur Hilfe eilt, jedoch vergeblich. Mit dem letzten Windzug leert sich ihr Kopf und lässt den letzten Gedanken in der Einsamkeit zurück.

Knacks. Atemstillstand.

Der alte Mann hob seinen Spazierstock wieder an und setzte seinen Fuß dorthin, wo vorher der Stock war. Warf seinen Kaffeebecher zur Seite auf den Boden und lief unbekümmert weiter über die Wiese.

Der Mann sah nicht, was um ihn herum geschah als er weg sah.