Zeit

Einsendung von Floria F, 16 Jahre

Ich liege da, den Blick gegen den Himmel gerichtet. Ein strahlend blauer Himmel. Weit und breit kein einziges - nur Blau. Eine Möwe kündigt sich hell schreiend an. Fliegt einmal quer über mein Bild aus Blau. Doch meine Augen folgen ihr nicht. Wollen nicht wissen, wohin sie fliegt. Meine Aufmerksamkeit ist voll und ganz der Ferne gewidmet. Dem Blau entgegen. Dem, was es birgt, ergeben. Meine Gedanken schweben Meter um Meter empor. Kilometer um Kilometer um Lichtjahr ins Ungewisse. Je weiter der Blick wird, desto kleiner werde ich, wird der Betrachter. Ich müsste nur ein paar Lichtjährchen in diese Richtung gehen und würde die Erde nur noch als einen nicht mehr identifizierbaren Punkt in einem gigantischen Wirbel um Nichts beschreiben können. So viele Sonnen und ihre Systeme. Planeten und ihre Probleme. Und hier, wir Menschen und unsere Pläne – fürs Nichts und niemanden danach.

Ich schließe die Augen und atme die salzige Luft tief ein. Halte sie für einige Sekunden in meiner Lunge fest. Es tut gut, den Moment so zu erfassen. Es ist ein schöner Moment. Sorglos. Ich höre auf das sanfte Rasseln der über den Kies spülenden Wellen. Versuche meinen Atem ihrem Takt anzupassen.

Ich halte inne.

Ein ungewohntes Brummen ertönt. Irritiert merke ich, dass sich der Himmel verfärbt hat. An Stelle des beruhigenden Blau ist ein feurig-leuchtendes Orange getreten. Das Brummen wird lauter. Ist es überhaupt möglich, dass so viel Lärm nur einen Ursprung hat? Langsam richte ich mich auf. Die Sonne brennt den Horizont in glühendes Rot. Jetzt sehe ich auch die Quelle des Lärms – die Quellen. Flugzeuge fliegen kreuz und quer über den Himmel. Ziehen riesige Kondensstreifen nach sich. Vor mir spannen Fischerboote ihre Netze. In der Ferne tuckert ein Containerschiff.

Das Meer bebt. Immer größere Wellen spülen ans Ufer, bis hin zu meinen Füßen. Schnell springe ich auf. Die Tropfen, die mich erreichen, hinterlassen Wunden auf meinen Beinen. Die Boote am Ozean versuchen das Schlimmste zu vermeiden; die an der Küste interferierenden Wellen schubsen sie hin und her. Sie alle richten ihren Bug geradewegs dem Hafen zu. Und dann, wie auf ein stilles Kommando hin, kehrt das Meer zur Ruhe. Keine Wellen mehr. Nur noch spiegelglattes Wasser. Stille? Es dauert keine zwei Sekunden, bis ich merke, dass etwas nicht stimmt….

Das Meer kommt auf mich zu.

Ich versuche wegzurennen, doch meine Füße sind wie festgewurzelt. Können nicht weg, von wo sie wurden. Verzweifelt drehe ich mich zu meinen Eltern um. Sie stehen in einiger Entfernung auf einer Anhöhe und blicken zu Boden. „Mama! Papa!“, rufe ich, während der Meeresspiegel weiter steigt und kochend heißes Wasser meine Waden hinaufklettert. „Mama! Papa!“, meine Stimme bricht. Überschlägt sich. Wieso helfen sie mir nicht? Wieso stehen sie nur tatenlos da? Noch einmal schreie ich so laut ich kann: „Mama! Papa! Hilfe!“ Diesmal reagieren sie. Langsam, fast schon zaghaft, heben sie den Kopf. Ich kann nicht genau sagen, ob sie mich überhaupt anschauen oder ihr Blick an mir vorbei driftet. Doch meine Augen sind genau auf ihre gerichtet. Vier so schöne Augen. Verunstaltet mit so viel Mitleid und Schuldbewusstsein.

Plötzlich begreife ich: Sie haben jeden Grund, sich schuldig zu fühlen. Denn sie standen schon immer dort auf ihrer Anhöhe. Schauten schon immer zu. Tatenlos. „Wieso ….?“

Das Wasser steigt weiter.

Autorin / Autor: Floria F