Auf in die warme Kälte

Einsendung von Viktoria Bencsik, 14 Jahre

Ich hörte entfernte Rufe, die unsere Ankunft ankündigten. Jupiter kam mit einem ernsten Gesichtsausdruck auf mich zu und reichte mir meine Jacke. „Komm, Marie, schnell. Wir haben nicht viel Zeit.“ Ich erwachte aus meinen Tagträumen und lief die Treppe hinab. Mir wurde die Tür geöffnet und ich musste meine Augen verdecken vor dem blendend weißen Licht, welches mich empfing. Als ich wieder klarsehen konnte, lief ich den anderen nach.

Wir waren zu zehnt unterwegs, bepackt mit Käfigen und eingehüllt in dicke Jacken. Es war der 14. November 2218, dieses Datum werde ich nie vergessen. Ich hatte mir die Arktis anders vorgestellt, mehr Schnee und Eis, doch davon war nicht mehr viel übrig.

Ich blickte um mich, sah meine Mitmenschen, die sich nach und nach Haube und Schal auszogen. Ich hörte das Rauschen des Wassers, welches einmal Schnee oder Eis gewesen sein musste. Ich erschrak. Ein ungefähr zwei Meter breiter und bestimmt 50 Meter tiefer Riss hatte sich im Eis aufgetan, zum Glück bemerkte ich ihn rechtzeitig. „Los, Leute. Bald haben wir es geschafft“, motivierte uns Jupiter, der Chef der heutigen Truppe.

Er hatte sich ein wenig in der Zeit geirrt, denn es dauerte ganze zwei Stunden, bis wir endlich an unserem Ziel ankamen. Wir duckten uns hinter einen Schneehaufen und warteten. Meine Handflächen fingen an zu kribbeln, ob vor Kälte oder vor Aufregung, ich weiß es nicht. Auf einmal breitete sich tiefe Trauer in mir aus. „Was haben sich die Menschen gedacht? Wir sollten erst gar nicht hier sein müssen, um die letzte Chance zu greifen, eine Tierart vor dem Aussterben zu bewahren. Wie konnte es nur so weit kommen?“, flüsterte ich vor mich hin. „Naja, man hätte zum Beispiel mehr auf Abgase achten können, sie erwärmen die ganze Atmosphäre. Weniger Flugverkehr, weniger Schiffe, alle schadstoffreichen Transportmittel einschränken und nur dann benutzen, wenn man sie wirklich braucht. Wasserverbrauch reduzieren, Verpackungen umweltfreundlicher gestalten oder gleich aus einem anderen Material anfertigen, also Plastik reduzieren. Die Menschen haben einfach nicht darauf geachtet. Jetzt ist es eh schon egal“, zuckte Max neben mir die Achseln. Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. „Das war eine rhetorische Frage.“ „Seid endlich leise! Ich glaube, sie nähern sich“, verkündete Jupiter und sofort war die ganze Aufmerksamkeit wieder auf unsere Mission gerichtet.

Ich spürte, wie mein Herz immer schneller schlug, wie sich meine Muskeln anspannten und sich mein Magen zusammenzog. Ich hatte das Fernglas fast schmerzhaft an meine Augen gedrückt, als es geschah. Wir hörten das flotte Watscheln der kleinen Füße, die Laute, mit denen sie sich verständigten. Automatisch verzog sich mein Mund zu einem Lächeln und mein Herz schmolz. Bisher hatte ich sie nur in Büchern und im Internet gesehen, doch jetzt sah ich sie vor mir, in Fleisch und Blut. Die drei letzten, noch existierenden Pinguine.

Auf dem Weg zurück zum Schiff konnte ich es immer noch nicht glauben. Ich blickte hinüber zu den in den Käfigen zappelnden Tieren. Bald wird es mehr von ihnen geben, dachte ich.

Wir waren bereits eine Stunde unterwegs, die Pinguine in ihren Käfigen verstaut, Aufsichtspersonen neben ihnen. Jeder hatte seine Aufgabe. Plötzlich hörten wir ein mächtiges Krachen. Auf einmal ging der Alarm los, rotes blinkendes Licht hüllte uns ein und durch das Heulen der Sirenen konnte ich kaum ein Wort verstehen, als ich Max fragte, was passiert ist.

Ich sah die Panik in seinen Augen: „Wir müssen wohl gegen irgendetwas gestoßen sein, dadurch ist das Schiff beschädigt worden. Wenn sie das Leck nicht schnell genug finden, geht das Schiff unter, damit auch wir und die Pinguine. Ihre Zukunft wäre somit geschrieben: es würde keine geben!“ Vor Entsetzen blieb mir die Luft weg. Innerlich zerbrach ich an dem Gedanken, dass das tatsächlich geschehen könnte. Nein, das durften wir auf keinen Fall zulassen!

Ich sprintete die Treppen hinab und steuerte auf den Aufenthaltsraum der Pinguine zu. Ich riss die Tür auf und stellte erleichtert fest, dass es den Tieren gut ging. Außer mir waren zwei Wachen und Jupiter anwesend. „Was machen wir, wenn das Leck nicht gefunden werden kann und wir untergehen? Werden wir wirklich zulassen, dass nach all den Vorbereitungen unsere Mission scheitert und die Pinguine aussterben?“, keuchte ich und sah Jupiter fassungslos an. In all der Aufregung in seinem Gesicht konnte ich etwas Trauriges ausmachen. „Ich weiß es nicht, Marie. Falls das Schiff untergehen sollte, hätten wir zwar immer noch ein Beiboot, das sollte jedoch nur im schlimmsten Fall benutzt werden. Wir müssten die Pinguine freilassen und auch wenn wir es schaffen könnten, erneut herzukommen, könnten sie bereits gestorben sein. Die natürlichen Umstände sind zu riskant für die Vermehrung. Es würde alles umsonst gewesen sein.“ Er legte mir die Hand auf die Schulter und fügte mit einem gezwungen ermutigenden Lächeln hinzu: „Aber gehen wir doch davon aus, dass es erst gar nicht dazu kommen wird. Konzentrieren wir uns lieber auf das Jetzt und schauen wir, dass der Schaden gefunden und behoben werden kann.“ Ich nickte verdattert und machte mich mit glasigen Augen, den Tränen nah, auf den Weg.

Als ich im untersten Deck ankam, um selber nach dem Schaden zu suchen und nicht nur tatenlos rumzustehen, merkte ich die Veränderung der Atmosphäre. Dort, wo gerade noch Stress, Entsetzen und Angst herrschte, war nun Erleichterung und Zufriedenheit. Ich nahm auch das rote Licht und die Sirenen nicht mehr war. Verwirrt sah ich Luca, einen der Forscher, an, der sich mit einem Fetzen den Schweiß von der Stirn wischte und mich erschöpft angrinste: „Wir sind gegen einen Felsen gefahren, es hat aber nur die äußerste Schicht des Schiffes beschädigt. Ergo, es gibt keinen Grund zur Sorge und wir können alle nach Hause, samt den Pinguinen.“ Bevor ich irgendetwas sagen konnte, erschien Jupiter hinter mir: „Ich habe dir gesagt, alles wird gut!“

Autorin / Autor: Viktoria Bencsik