Finnja, ich brenne

Einsendung von Theres, 23 Jahre

Und es war schwer. Am schwersten an den Tagen, an denen er litt und ich nichts dagegen tun konnte, als da zu sein. Zu existieren. Ein so nutzloses Dasein, was ich dann fristete, wie ich ihm übers Gesicht strich, hilflos den Schweiß von der Stirn, ein rot blaues Tuch in meinen Händen und voller dunkler Flecken, auch an meinen Händen, Asche. Das Wimmern verfolgte mich bis in meine Träume hinein, denn auch ich konnte dem Wissen nicht entgehen - ich war schuld. Jedes Stöhnen, jedes schmerzverzogene Gesicht brannte sich in meine Gedanken und ließ keine Bilder von Bränden, die dank der Klimaerwärmung immer mehr Landschaften fraßen, vergessen.
Wälder auf der ganzen Welt flammten mit roten Zungen und schluckten ihre eigenen Existenzen.
Eine neue Spezies, geschenkt von Mutter Natur, geboren von ihr, aufgezogen vom Wissen der Bäume, die sie irgendwann entließen, indem sich ihre rauen Rindenflächen in menschliches Fleisch verwandelten. Plötzlich traf man in Wäldern auf nackte Menschen, die ohne Worte, ohne Habseligkeiten und doch mit ruhigem Blick, umherwanderten und schließlich auch in unsere Städte zogen. Ich beobachtete sie, wie sie an den Straßenrändern hockten, im Kopf weit weg, das Gesicht der Sonne zugewandt. So saßen sie stundenlang in den Wurzelwerken ihrer ehemaligen Gedanken, auf ihrem Körper nun eine ungewohnte Haut unserer Kleidung. Schon bald antworteten sie auf unsere Fragen mit Worten, die seltsam geliehen klangen. So bedacht, so behutsam redeten sie, als wären sie sich nicht nur der Kostbarkeiten der Sprache bewusst, sondern auch bereit, sie nach jedem Gebrauch zurückzugeben.
Wir missbrauchten unsere Natur und sie sandte eine Antwort.
Menschen mit Sinn und Verstand.
Doch es war brutal, eine Spezies zu erschaffen, die zwar aussah wie wir, doch dachte wie Bäume.

Er schälte rote Hautfetzen, ohne in der Sonne gewesen zu sein und fieberte an heißen Tagen mit den unerträglichen Temperaturen um die Wette.
„Finnja, schalte den Fernseher aus und schau mich an,
stille Hitze versengt meine Haut,
ich blute rote Hautschuppen, werfe Blasen mit Flüssigkeiten,
sehe rot, rote Kreise, die sich in abwechselnder Richtung hinter meine Lider zwängen,
ich wünschte, ich könnte sie aussperren, so unruhig machen sie mich,
lassen meine Lider flattern, schreien in die stille, rotierende Bewegung,
ich fiebere,
sehe unruhige Bilder vor meinen Augen drehen,
nicht nur Kreise -
ach, wenn es nur die Kreise wären, die ich auszusperren versuche,
meine Haut spannt, weil sie plötzlich zu klein für meinen Körper wurde, schneidende Schmerzen an Ober- und Unterarmen, an den Beinen ist es am schlimmsten,
ich blute, manchmal blute ich wirklich schwarze Asche verbrannter Bäume, aber vielleicht träume ich das auch alles nur, ich kann es nicht mehr unterscheiden,
ob es das Leid wert ist, frage ich mich, warum ich das Feuer nicht besitzen kann und lasse mich in kleine Wellenbewegungen von Badewannenrändern fallen, doch der Schmerz erlaubt es mir nicht, das Wasser färbt sich rot,
ich setze mich an züngelnde Lagerfeuer mit ängstlichem Blick und versuche mich von ihnen aufnehmen zu lassen, doch die Erinnerung an die Schmerzen lässt mich steinern werden und ich betrachte das lodernde Rot nur noch aus sicherer Entfernung,
jeder, der sich verbrennt, kennt den Schmerz,
genieße die ruhigen Tage mit wachen Augen und schwitzenden Händen,                                     
weil ich immer hoffe, es sei vorbei -
doch es sind nur Episoden,
ich weiß das, wenn die Bilder aus den Nachrichten, die du beharrlich schauen willst, an uns vorbeiziehen und ich Tränen schwitzen muss,
weil ich sehe, wie wütend und hilflos sie ist,
in jedem Bericht ist das Lodern in den Augen meiner Brüder, die in den Flammen ihre Wut in Wellen reiten,
ich bin nicht bereit,
rot,
ich halte es,
rot,
halte Feuer,
rot,
es nicht,
rot,
aus.“

Roter Knopf und schon wurde der Bildschirm schwarz. Trotz meiner Hilflosigkeit, versuchte ich mit Salben und kalten Tüchern seine Beschwerden zu mildern und verbrachte viel Zeit in seiner Nähe. Doch natürlich halfen Medikamente nicht bei Klimaauswirkungen. Paracetamol verstärkten diese höchstens noch mehr.
Noch immer beuteten wir sie täglich und weit über ihre Grenzen hinaus aus. Nur das Ignorieren wurde schwerer, wenn man plötzlich mitansehen musste, wie die Natur sich menschlich quälte - und das nicht nur in weit entfernten Ländern, in denen die kapitalistische Welt nur hinschaute, wenn beim Blinzeln die Lider geschlossen sind. Augen zu, denn Hunger ist beim Fernsehen nicht übertragbar. Plakate von zusammengestürzten Häusern in Krisenlagen stellen Erdbeben vergleichbar neben neue Bademoden. Bunt auf bunt, wer schaut schon hin, wenn man Urlaub macht. Australien brennt, wie schade, da waren die Ferienhäuser immer so sauber.
Doch zum Glück ist es leicht, auf Klimademos ab und zu mit dem Finger auf andere zu zeigen. 
Die Politik muss etwas ändern, damit wir uns ändern. Das ist Gesetz. Man zeigt nicht mit nackten Fingern auf angezogene Leute. Also mussten wir die Ärmel unserer Billigpullover langziehen, bis die angezogenen Finger sich im Schutz der Schatten anderer verzogen.
Doch jetzt spürte man das Leid in den eigenen Reihen. Baummenschen, die zu Nachbarn und Freunden wurden, galten schnell als akzeptiert. Denn wo blieb noch Platz für Fremdenfeindlichkeit, wenn Gärten prächtig sprießen konnten und unsere Palmen fachgerecht überwintert wurden?
Es war skrupellos, eine ganze Art zum Leiden zu verdammen, nur damit wir unsere Augen nicht mehr verschließen wollten. Menschen waren zwar verzichtbar für sie, doch ausnutzen ließ sich unsere Mutter nicht gerne. Sie schenkte uns Egoismus und erhielt dafür Veränderung.                                               
Unser alltägliches Leben, das über seine natürlichen Grenzen hinaus, immer eindringlicher quälte.

Und heute sitze ich an heißen Tagen in seinem Schatten, weil er es nicht ertragen konnte, Mensch zu bleiben. „Als Baum“, so sagte er, „habe man wenigstens kein Gewissen, Finnja.“