139

Einsendung von Naimasidney, 24 Jahre

12:10 Uhr schlägt die Uhr als Lisa schweißdurchnässt am Mittagstisch erscheint. Die Überschrift der Zeitung, die sie eben aus dem Briefkasten gefischt und sich lasch unter den Arm geklemmt hat, warnt eindringlich. Neben der Rekordtemperatur und ( – such es dir aus: Kalifornischen, Australischen,…) Waldbränden vor 139, an einem Tag. 139, das zergeht nicht leicht auf der Zunge wie Schokolade. Das ist eine bittere Pille, die die Menschheit schlucken muss, nur ist sie dazu gänzlich nicht bereit. >>Verdammt, die Menschheit begibt sich in ein 139-Stufen Rennen, ohne den Blick zu wenden, innezuhalten, den Sinn der vorschnellen Handlung zu befragen, um – mit Recht - wankend den Halt in den Tot zu verlieren. Nur würde das jemand kümmern. Dieser Tod. Die 139 anderen Lebewesen, die unverschuldet an diesem Tag ihr Leben sowie ihre Art lassen nicht.<<

139 hämmert es in Lisas Kopf. Was ist das für eine Welt, in der der eigene Profit sowie das bequeme Leben im Vordergrund steht? Werden wir - die reichen weißen privilegierten Arschlöcher* echt erst an den Klimawandel glauben, wenn er uns direkt betrifft? Sie möchte beim Anblick des Berichts am liebsten direkt zu ihren Eltern fahren ( - an welches Fortbewegungsmittel denkst du?) und diese zu Rede stellen. Für Vater ist das Auto der Inbegriff der Freiheit - die alt 68 Generation, die die Welt verändern wollte und jetzt blind vor jeglicher Veränderung ist. Tempo 40 in der Stadt. Arschlöcher. Fahrradstreckenausbau in Großstätten? Arschlöcher. - obwohl ganz so einfach sehen ihre Eltern das Ganze auch nicht. Aber es wurde halt zu wenig getan in den letzten Jahren. Von der 'Politik'. Ein E-Auto? Die 'Politik' soll sich um Tankstellen bemühen, dann ja. Lisa versteht, 'die Politik' die erst den Diesel subventioniert, um ihn dann zu verteufeln.

Auf diese 'Politik' ist über die Jahre hinweg ein Groll bei der Elterngeneration gewachsen. Die Hoffnungen wurden enttäuscht, im Keim erstickt und schlimmer – es bildet sich eine Antihaltung heraus. Doch wem schadet das Ganze? Dem Klima. Enttäuschte Hoffnungen führen zu kleinkindlichem Trotzverhalten. Selbst bei sich anzusetzen steht nicht im Fragehorizont. Der 'Grüne' politische Ansatz sei eine Überreglementierung von allem, ohne Visionen.

Die Gletscher kalben, ¾ der Insekten sind in den letzten drei Jahrzehnten ausgestorben. Auch bzw. vor allem durch die Pestizide der Landwirtschaft. Aber diese Landwirtschaft wird subventioniert. Wieso?

Wieso ist die Bauernlobby die zweitgrößte neben der Autolobby? Bei sich selbst anzusetzen fällt schwer, wenn die Politik sich widersprüchlich verhält. Das stimmt. Lisa ist nachdenklich. Es wird nichts nützen, jetzt ihre Eltern zu Rede zu stellen. Die Gesellschaft muss sich für die Wiedersprüche der politischen Instanzen sensibilisieren.