Eine neue Erde

Einsendung von Erik Wind, 24 Jahre

Es ist heute am Wintersonnenwendtag, dem 21.12.2210, ein Wunder, dass wir als Menschen überhaupt noch leben. Es sind die letzten von uns, die noch nicht als  Strudel heller, klingelnder Töne in die Tiefe zu neuen Erden geflohen sind.
Meine Damen und Herren, es freut mich Ihnen sagen zu dürfen, dass wir das Zeitalter der Ignoranz und Dummheit überwunden haben. Auch darf ich Ihnen voller Stolz mitteilen, dass ich mit meiner Himmelsgaleere den Urnebel in der Andromedagalaxie auskundschaften konnte. Meine Reise war, wie Sie sich denken können, beschwerlich, doch wollte ich alles daran setzten, schnell möglichst wieder zu diesem Kongress zu kommen, um die Nachricht vom Paradies zu meiner Erdfamilie zu bringen, bevor es mit uns endgültig zu spät sein wird. Ich hatte nur noch die schweren Stürme von Neptun zu überstehen, musste über einen Notsteg der großen Anziehungskraft von Vater Jupiter ausweichen, und schon war ich gelandet, in unserem letzten Naturreservat der Erde.

Die Welt von einst, liebes Komitee, war zweifelsohne auch ein Paradies. Ihr könnt es sehen, fühlen, riechen, schmecken, dass seitdem einiges aus dem Gleichgewicht gefallen ist. Seitdem unsere Vorgänger es blindlings zertraten und unserer Mutter Erde den Bauch aufschlitzten, um sie bis auf den letzten Tropfen auszusaugen, ist sie nur noch wie ein albtraumhafter Garten. Der Weltenbaum ist zermorscht und das Weltenei längst giftig geworden.  Wo einst ragende, urgroßväterliche Bäume den Dank der Erde verkündeten, liegen nun brache Felder und Betonwüsten, selbst die Meere, die im Plastik untergehen, sind ausgeraubt und immer näher gerückt, und überall röchelt die Welt im Smog, ja wir ersticken in unseren eigenen pythischen Dämpfen. Ist es nicht so, als hätte man uns nur in den Pferch der Städte gesperrt, um uns die Erinnerung zu rauben, und gleichsam damit unsere Kräfte uns von der Natur heilen zu lassen? Doch unsere Generation ist bereits in dieser Bettelbüchse geboren, und einige unter euch fühlen den gleichen Weltschmerz, wie ich ihn fühle. Dieser Schmerz ist neben den uralten Bilderbüchern und paradies-romantischen Dichtungen mein Motor, um nicht zu sagen, mein Antrieb, um das verdreckte Staubbecken unserer Erde wieder in eine Oase zu verwandeln. Ich möchte euch daher anrufen: Sind wir nicht eine Weltfamilie, die zusammenhalten muss, oder ist die Natur, unser Götterspielplatz uns schon so fremd geworden, dass die abgestumpften Sinne ihre Schönheit und den Quell ihrer Heilung gar nicht mehr vermisst? Wenn es nun schon so weit kommt! Und die ersten Deserteure auf Logenplätzen in besternten Raumstationen ihre Totenmesse abhalten, während sie von oben zuschauen, in den Erdens Falten, ja bleibt dann nicht alles beim Alten, bis das Herz der Welt aufhört zu schlagen? Was sollen nur unsere Kinder von uns sagen? Über die kahlen Friedhöfe und Galgenplätze, die wir hinterlassen haben. Schließlich geht es hier um Gebiete, die so viele gute Kräfte haben, dass sie uns die Luft klären, ja hört ihr! Luft! Wisst ihr denn überhaupt noch wie sich das anfühlt? Ich spreche von Urwäldern, dunklen Multiversen voller Tiere und Pflanzen, die ich dort draußen sah, - ich spreche von überfließenden Himmeln beinah schon verschwenderisch dahingeworfener Sterne, ich spreche von wahrer Heimat! Weil diese Gefilde uns herzeinsichtig werden lassen, weil sie den Druck von unserer Seele nehmen!

Wie sagte einst Charlie Brown, als er gefragt wurde, dass wir uns um den Morgen gar nicht kümmern brauchen, weil wir uns nur auf das Heute konzentrieren sollten: „O das wäre Resignation. Ich arbeite immer noch daran, dass Gestern besser wird!“

Und was meinte wohl Freud damit, wenn er vom Mord sprach und sagte, „dass die Schwierigkeit nicht in der Ausführung der Tat sondern in der Beseitigung ihrer Spuren liegt.“

Ihr seht schon, es gibt es etwas Unlöschbares in allem, was wir tun. Und wenn wir weiter so achtlos sind, entgeht uns jeder Zauber. Es ist also längst an der Zeit, dass wir in dieser Moral „Leben-zu-ehren“, zu leben beginnen, und uns wieder einen Freiraum für naturgelobte Zeremonien schaffen. Also dann, lasst uns die Bankrotterklärung unserer Vorfahren zerreißen, bis zum triumphalen Ziel: Unseren Kindern wieder Waldtempel und Blumenoasen zu schenken, und uns auszusöhnen, mit uns und unseren Ahnen.

Nachtrag (3 Erdenjahre später): Nur wenige Wochen nach meiner Rede mobilisierte die Raumfahrt-Ag, (die ich übrigens verlassen habe), eine Mission zu der zweiten Erde in der Andromedagalaxie. In mir machte sich derweil ein mulmiges Gefühl breit, so haderte ich, dass ich niemals die Koordinaten hätte weiter geben dürfen. Ihr wisst ja, die vorherrschende Menschengier, die uns seitjeher zum Erzfeind der Natur gemacht hatte. Doch als ich hörte, dass die Raumfahrer keinen blühenden Planeten, so wie ich ihn beschreiben durfte, vorfanden, sondern nur einen Eisplaneten, auf dem sich die ewige Nacht verlor, war es mir im Stillen eine Genugtuung.

Autorin / Autor: Erik Wind, 24 Jahre