Unbekümmert (Eine Parabel über Gletscherschmelze)

Einsendung von Thorsten, 17 Jahre

Seine Zunge hing matt zum Maul heraus. Alt eingesessen war er, der Esel, weit länger am Hof als der unbekümmerte Junge, der ihn vor den Pflug gespannt hatte. Und jetzt den Acker pflügen ließ. An einem Hochsommermittag. In der Sonne. Man hätte warten können, verzichten können, ein paar Wochen, Tage, auch Stunden nur. Aber der Junge war unbekümmert, er ließ ihn jetzt pflügen. Der Esel ward langsamer, schnaufte, kämpfte, keuchte. Der Junge scheuchte ihn weiter: Es standen noch 20 Ar Acker aus. Wasser tropfte von der Zunge des Esels, immer schneller, als wollte er das ganze Feld besäen. Unbekümmert scheute der Junge ihn weiter: Wäre am Ende des Tages der Acker und ein weiterer gepflügt, wäre Opa gewiss stolz auf ihn. Der Esel brach zusammen, er konnte die Kraft nicht mehr aufbringen. So lag er da, nichts mehr von seiner Würde übrig, faszinationslos. Der nun nicht mehr ganz unbekümmerte Junge lief fort, um mit Wasser das Leben des Esels doch noch zu retten. Am Brunnen traf er einen Greis, der früher Viehhändler gewesen war. Der Junge fragte ihn, ob er ihm helfen könnten, seinen Esel zu retten. Doch der Greis sprach nur: „Junge, ein Pulverfass explodiert nicht ohne, dass Dynamit drin gewesen wäre.“ Der Junge aber verstand diese Worte nicht und lief zu seinem Esel, der inzwischen verstorben war. Aber über sein Soll machte er sich dann doch nicht so viele Gedanken, noch gab es ja schließlich andere Esel am Hof.

(Anmerkungen zur Interpretationshilfe: Beachten Sie im Hinblick auf Gletscher die Doppeldeutigkeit des Wortes „Zunge“ in der Parabel, das Wort „unbekümmert“ spielt eine große Rolle. Parallel zu den Gletschern leidet der Esel unter der Hitze. Die Tatsache, dass er dieser ausgesetzt ist, ist durch den Leichtsinn des Menschen verursacht. Nötige Hilfe kommt zu spät, die Problematik wird durch einen „Fachgerechten“ angeprangert, aber nicht beherzigt; das Problem wird letztlich vernachlässigt/scheinbar umgangen. Diese Elemente der Esel-Parabel lassen sich auch auf die Problematik der durch den von Menschen herbeigeführten Klimawandel verursachten Gletscherschmelze übertragen.)

Autorin / Autor: Thorsten, 17 Jahre