Der Lobbyist

Einsendung von Vincent Dekorsy, 16 Jahre

*1*
„Und wie kann ich dieses Treffen angeben?“ „Natürlich als das, was es ist. Die Beratung eines Experten hinsichtlich der Arbeit an dem neuen Gesetz.“, sagte der Interessenvertreter.
Die Parlamentarierin kritzelte etwas in ihren Kalender. Dann hielt sie inne und blickte ihren Gesprächspartner von unten an. „Experte?“
Der Mann lachte bemüht. „Experte slash Interessenvertreter. Ich bin aber durchaus qualifiziert und berufe mich, wie Sie ja gesehen haben, nur auf wissenschaftliche Erkenntnisse.“
Der Interessenvertreter, der Frank hieß, stand auf und packte die Dokumente ein.
„Ich würde mich freuen, wenn Sie sich das Gesagte durch den Kopf gehen lassen. Die Unterlagen habe ich noch mal per Mail an Ihr Büro geschickt.“
Er gab der Politikerin die Hand und verließ den grauen Raum.
Als nächstes steuerte Frank ein Restaurant an, in dem Abgeordnete häufig zu Mittag aßen. Aber bis auf ein paar Mitglieder der Grünen Partei war niemand da und mit denen brauchte er erst gar nicht zu reden.
So streunte der Lobbyist, der sich selber nie so nennen würde, noch den restlichen Nachmittag erfolglos in der Stadt herum. Abends fuhr er erschöpft und unzufrieden nach Hause. Frank öffnete sich ein Bier und blickte nachdenklich auf seinen trockenen Rasen. Ich sollte ihn wässern, dachte er sich, weil er glaubte, ihn noch retten zu können.

*2*
Frank rückte nervös an seiner Krawatte. Er wusste nicht, wie sein Konzern es geschafft hatte und wieviel Zeit und Nerven ein paar arme Sekretäre hatten investieren müssen, um dieses Treffen möglich zu machen.
Aber heute morgen war der Anruf gekommen, er solle sich sofort auf den Weg ins Parlament machen. Frank fragte sich, ob da mehr als nur überzeugende Worte zwischen seiner Firma und der Partei gewechselt wurden.
Sobald der Fraktionsvorsitzende der liberalen Partei ihm die Hand schüttelte, dachte Frank aber nur noch an die Wunderzahlen, die in seiner Aktentasche verstaut waren.
„Guten Morgen. Ich freue mich sehr, dass Sie sich für mich und meinen Konzern Zeit nehmen können.“
„Hallo, ja, ich mich auch. Ich finde ja, in der Debatte um das Gesetz wird die Wirtschaft völlig außen vor gelassen und wenn Sie in der Öffentlichkeit schon nicht zu Wort kommen, will ich Ihnen wenigstens privat, also quasi parteiintern, also, die Fraktion natürlich in erster Linie, die Möglichkeit anbieten,“ der Politiker schaute verwirrt und schien unschlüssig, ob er den Satz noch zu Ende bringen sollte, entschied sich aber dagegen.
Frank nickte verständnis- und hoffnungsvoll und begann, zu reden.
Eine vertrauliche Stunde später schloss er mit den Worten „und deshalb liegt es im gesamten Interesse der Industrie, dass der Gesetzesvorschlag angenommen wird.“
Der Fraktionsvorsitzende bedankte sich freundlich und verließ den Raum.
Frank wusste, dass der liberale Politiker jetzt direkt zu seinem Fraktionstreffen gehen würde. Und er wusste auch, dass mit einer breiten Unterstützung aus der liberalen Partei der Gesetzesvorschlag gute Chancen haben würde.
Also besuchte Frank noch viele Treffen an diesem Tag und versuchte, zu überzeugen.
Es war schon spät, als er die ersten Umweltaktivisten vor dem Parlament sah, die ihre Banner ausrollten und Plakate bemalten. Sie würden die ganze Nacht hier warten und morgen, da würde es landesweite Demonstrationen gegen den bevorstehenden Gesetzesentscheid geben. Wenn die wüssten für wen ich arbeite, dachte Frank, während er sich seinen Weg durch die bunte Menge bahnte, und nickte ihnen zu.
Frank fuhr erschöpft nach Hause und machte sich in seiner Küche ein Bier auf. Seine Arbeit war getan. Er hatte in den letzten fünf Monaten so hart gearbeitet wie noch nie. Aber für die Zulagen, dachte er sich, kann man sich auch schon mal den Arsch aufreißen. Als vor gut einem halben Jahr der große Erdölvorrat unter dem Wattenmeer entdeckt wurde, hatten sich die Dinge überschlagen.
Frank setzte sich mit dem Bier auf die Veranda und blickte auf seinen vertrockneten Rasen. Er dachte an all die Quatschargumente, all die herbeigezauberten Statistiken, mit denen er in letzter Zeit so viele Leute konfrontiert hatte.
Die Gärten von den Nachbarn sahen auch ganz ausgetrocknet aus, fast wie tot.
Ich sollte wirklich wässern, dachte er, weil er hoffte, dass es noch nicht zu spät war.

*3*
Frank stand an diesem Tag erst spät auf. Er las keine Zeitung, hörte kein Radio und schaute kein Fernsehen. Überall drehte sich alles um die bevorstehende Entscheidung und er kannte schon jedes Argument, dass jetzt zum tausendsten Mal genannt werden würde. Die Kritiker, die Umweltschützer, sprachen von einem falschen Signal für die Energiewende. Von möglichen Umweltkatastrophen. Und von katastrophalen Folgen für Klima und Natur, für die Deutschland allein verantwortlich sein würde.
Dagegen standen die Eröffnung eines vollkommen neuen Wirtschaftszweiges, eine größere Unabhängigkeit von anderen Ölexporteuren und ungeahnter Reichtum. Außerdem, so dachte sich Frank, was ist denn bitte die Alternative? Milliarden von Euro unter der Erde zu lassen, bis sie von alleine austreten, das Meer verschmutzen, und unbrauchbar sind? Er nickte sich bestätigend zu. Aber obwohl es sein Job war, konnte der Interessenvertreter sich nicht von seiner eigenen Meinung überzeugen.
Um kurz nach Sechs erhielt Frank eine SMS von einem Mitarbeiter.
„nachrichten!“
Er hastete zum Fernseher, schaltete ihn an und wechselte den Kanal. Jetzt war er doch aufgeregt.
„…wurde heute über das Gesetz zur Erschließung des neu entdeckten Ölvorrats unter dem Wattenmeer abgestimmt. Trotz heftigster Kritik von Umweltschützern wurde der Gesetzesentwurf heute mit absoluter Mehrheit angenommen.“
Frank sank überwältigt in seine Couch und schaltete den Fernseher auf stumm. Was das für sein Unternehmen, für ihn bedeutete!
Er ließ seinen Blick vom Fernseher durch sein Fenster über die Veranda gleiten.
Frank sah die dürren, braunen, verdorrten Grashalme in seinem Garten und runzelte die Stirn.
Ich sollte wirklich wässern, dachte er, obwohl er wusste, dass es schon zu spät war.

Autorin / Autor: Vincent Dekorsy, 16 Jahre