Der Fischer

Einsendung von Laura Mayer, 19 Jahre

Eine Handvoll silberglänzender Fische räkelte und wand sich im Fischernetz.
Die Begutachtung seines Fanges fiel mal wieder enttäuschend aus. Er hatte nichts anderes erwartet. Kaum hatte der Fischer das Netz geöffnet, verschwand seine Beute durch eine Luke im Boden in den Bauch des kleinen Fischerbootes. Die Sonne stand bereits tief und ihre Strahlen ließen das Meer glitzern, auf dessen Wellen das Schiffchen hin und her tanzte.
Der Fischer hatte sich an die Reling gelehnt und blickte in Richtung des kleinen Dörfchens, das sich entlang des Ufers erstreckte. Seine Familie würde vermutlich wie immer auf ihn warten. Der Sonnenuntergang ließ die Umrisse der kleinen Häuschen golden schimmern und tauchte den gesamten Himmel in ein trübes, rötliches Licht. Eigentlich sollte er sich langsam auf den Heimweg machen, sonst würde das Essen noch kalt werden. Jedoch ließ ihn die Vorahnung, was ihn Zuhause erwarten würde, zögern. Es war jeden Abend das Gleiche: Seine Frau, die ihn mit hoffnungsvollen Augen anblickte, sobald er zur Tür hereintrat, obwohl sie bereits sicher wusste, dass er nur wieder frustriert den Kopf schütteln würde und seine Kinder, die ihn daraufhin wie immer ins Gewissen reden wollten, er solle doch endlich die Fischerei an den Nagel hängen und sich eine Arbeit mit Zukunft suchen. Sie schienen einfach nicht zu verstehen, wie sehr ihm der kleine Fischerbetrieb, der schon seit Generationen in der Familie weitergegeben worden war, am Herzen lag und das wiederum konnte er nicht verstehen. Seine Frau sprach es zwar nie aus, aber er wusste genau, dass es ihr insgeheim lieber wäre, er würde auf den Rat seiner Kinder hören. Er konnte es ihnen nicht einmal verübeln, eigentlich hatten sie recht.
Einen Moment lang stand der Mann nur da, hielt die Augen geschlossen und lauschte den Wellen, die müde gegen den Bug des Bootes schlugen. Er dachte daran zurück, wie er oft als kleiner Junge mit seinem Vater aufs Meer hinausgefahren war. Damals war er sich bereits sicher gewesen, dass er später Fischer werden würde. Er war schon immer von der Vorstellung fasziniert gewesen, dass das Meer ihm alles gab, was er brauchte. „Wie ein alter Freund“ hatte sein Vater immer gesagt. In den letzten Jahren jedoch hatte sich das Meer in einen immer geizigeren Freund verwandelt. Die Ausbeute des Fischers wurde immer kläglicher und es würde wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis der Tag kam, an dem er nicht mehr davon leben konnte.
Es wurde jetzt immer dunkler und der Wind hatte inzwischen so stark aufgefrischt, dass er die Kleidung des Mannes durchdrang. Fröstelnd zog er sich die Mütze über seine Ohren und ließ die kalten Hände in den Jackentaschen verschwinden. Länger konnte er seine Rückkehr nicht mehr hinauszögern, ohne dass sich seinen Familie um ihn sorgen würde. Im Steuerraum erweckte der Fischer unter dem lärmenden Motor sein Schiff zum Leben. Sofort stieg ihm der bekannte Dieselgeruch in die Nase und er legte fast liebevoll beide Hände auf das hölzerne Steuerrad. Es dauerte nicht lange bis seine Gedanken erneut abschweiften, während das Fischerboot die Wellen durchpflügte. Noch vor ein paar Jahren war er nach getaner Arbeit nie enttäuscht heimgekommen, er hatte sich keine gutgemeinten Berufsempfehlungen anhören oder Dutzende von Überstunden auf sich nehmen müssen. Seine Netze waren meist bis zum Anschlag prall gefüllt gewesen. Warum hatte sich das Glück von ihm abgewendet?
Langsam wuchsen die Häuser wieder zu ihrer normale Größe heran und auch das Ufer kam immer näher; er konnte bereits die kleine Anlegestelle erkennen. Die vielen verschiedenen Lichter, die aus allen Gebäuden drangen, schienen ihn willkommen zu heißen.
Der Fischer dachte an sein warmes, behagliches Heim, das leckere Abendessen und spürte wie ihm die Müdigkeit in die Knochen kroch. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Vielleicht würden seine bösen Vorahnungen nicht bestätigt werden und seine Familie würde ihn ausnahmsweise in Ruhe lassen, sodass es doch noch ein gemütlicher Abend werden würde. Nein, er wusste bereits jetzt, dass er seine Enttäuschung nicht verdrängen konnte. Ein Gedanke an die erbärmlich gefüllten Netze, die er den ganzen Tag über eingeholt hatte, würde seine Laune sofort verderben.
Die kleine Anlegestelle seines Heimatdorfes, die von weiteren kleinen Schiffchen umzingelt war, befand sich jetzt in unmittelbarer Nähe und der Fischer manövrierte das Fischerboot geschickt an den dazugehörigen Steg. Die mit Algen überwucherten Holzbretter knarrten unter den Schritten des Mannes, als er das Boot verließ, um es zu vertäuen. Die Kutter und Kähne schaukelten weiterhin stumm zum Rhythmus der Wellen auf und ab.
Kaum hatte er den Steg hinter sich gelassen und das Ufer betreten, versanken seine Schuhe im feuchten Sand und wurden von einer Welle umspült, die genauso schnell wieder zurück im Meer versank, wie sie aufgetaucht war. Die kühle Luft roch nach Salz. Und mit einem Mal huschte ein Lächeln über das Gesicht des Fischers, da er mit diesem Geruch so viele schöne Erinnerungen aus den verschiedensten Abschnitten seines Lebens verband.  Er hatte wahrscheinlich mehr Zeit auf dem Meer als an Land verbracht. Der Fischer beobachtete wie die letzten Strahlen des Tages die Wellen durchbrachen. Die Dunkelheit hatte die Sonne bereits an den Horizont des Himmels verdrängt. Es sah aus, als würde sie ihm Meer versinken. Nichts war zu hören, außer das Rauschen des Wassers.
Er nahm einen tiefen Atemzug und bemerkte, wie er sich langsam entspannte.  Alles wirkte so friedlich; ein fast absurder Kontrast zu dem Chaos an Gedanken, das ihm noch vor wenigen Augenblicken durch den Kopf geschossen war. Trotzdem spürte er immer noch, wie die Ungewissheit auf ihm lastete. Die stets enttäuschend gefüllte Netze ließen ihm keine Ruhe. Der Fischer blieb noch für eine kurze Zeit am Ufer stehen und lauschte den Geräuschen des Meeres.
In einigen Metern Entfernung wurde unbemerkt eine Plastikflaschen an den Strand gespült.
Sein Freund war krank geworden.

Autorin / Autor: Laura Mayer, 19 Jahre