Eine magische Sichtweise

Einsendung von Maya Vondereck, 12 Jahre

Die Katastrophen, die unser kleines Dorf Tag für Tag erschüttern, würden uns nicht auf die Katastrophe vorbereiten, die uns bevorstehen würde.
„Der Schnee ist dieses Jahr schon wieder ausgefallen!“, wetterte Aria. „Ich konnte nicht einmal auf dem See Schlittschuh fahren!“
Einen halben Tag später packten Aria und ich meine wenigen Habseligkeiten zusammen. Die kleine Fee brummte etwas vor sich hin und ich hing meinen Gedanken nach. Königin Alana hatte mich beauftragt einen Grund zu finden für die Angriffe auf unseren Wald. Die Bäume waren abgeholzt worden und unser Teil des Waldes war bald dran.
In meiner grünen knielangen Tunika war ich in den Wald hinein gestapft und ohne es zu wissen, mitten in eine Stadt reingelaufen.
Dann stand ich da, ohne Plan und Idee. Ich ließ mich einfach treiben, aber als die Dämmerung einbrach, wusste ich nicht mehr weiter. Was nun? Mein Proviant war mir ausgegangen noch bevor ich die Stadt erreicht hatte, ich trug nur noch das Tuch, in dem ich ihn getragen hatte, um die Schultern. Da sah ich ein Stück entlang der menschenleeren Kleinstadtstraße eine Bäckerei, in der kein Licht mehr brannte. Auf leisen Sohlen schlich ich näher heran um mich zu versichern, dass wirklich niemand dort war und mich beobachtete.
Wir Waldmenschen haben ein klein wenig, man könnte sagen Magie. Ich konzentrierte mich auf die Scheibe, die mich noch daran hinderte in den Laden zu spazieren. Vor meinem inneren Auge sah ich den Raum, in dem ich hoffentlich gleich stehen würde. Ein Wirbel, der nach Laub und Moos duftete, und ich hörte von fern her das Rascheln von Blättern und das Singen von Vögeln. Dann, endlich, nach ein paar Sekunden der vollen Konzentration, stand ich in dem Raum der Bäckerei. Ich schnappte mir sogleich ein paar Laibe Brot. Damit konnte ich meinen Hunger sicher rasch stillen. Da hörte ich Stimmen von draußen. Ich war so damit beschäftigt gewesen, zu überlegen, wie viel ich mitnehmen wollte, weil ich schließlich wirklich nichts Böses wollte, sondern einfach nur Hunger hatte, dass ich die Schritte zu spät gehört hatte. Ich fuhr zusammen. „Kommen sie raus, wir haben sie gesehen!“, draußen standen Männer mit blauer Uniform und WAFFEN im Anschlag. Zügig stopfte ich zwei Brot ein meinen Beutel, dann ging ich mit erhobenen Händen aus der Bäckerei. „Ein Kind?“, fragte einer der uniformierten Leute überrascht. Mir leuchteten Lichtkegel ins Gesicht. Einige Schaulustige, unter anderem eine hübsche, dunkelhaarige Frau, hatten sich um uns versammelt. „Wer bist du und wo sind deine Eltern?“, fragte einer der Männer, der der Boss zu sein schien. „Ähm, ich…“, plötzlich trat die Frau aus der Ansammlung der Gaffer heraus: „Rose, da bist du ja!“, sie hatte wohl bemerkt, wie unwohl ich mich fühlte und war im richtigen Moment eingesprungen. Aber wieso nannte sie mich Rose? Sie sah mich auffordernd an. Ach so, ich sollte so tun, als wäre sie meine Mutter und ich die Tochter, die abgehauen war. Nun spielte ich mit. Die Frau, die auf mich zukam, war richtig gut darin, sich zu verstellen. Ich eher weniger. „Tut mir leid Mutter.“, nuschelte ich und senkte den Blick dabei so, dass niemand das erleichterte Grinsen sah, das mir auf die Lippen gehuscht war. „Es tut mir unendlich leid, Gentleman. Wie oft habe ich ihr schon gesagt, sie soll nichts stibitzen. Aber sie wissen ja, Kinder!“, entschuldigte sich meine Retterin und rügte mich gleichdarauf mit mütterlichem Ton.
Als die Uniform-Männer und die anderen Menschen weg waren, schaute mich die Frau besorgt an: „Wie heißt du?“, wenig später waren wir bei ihr zu Hause. „Mahrla.“, plötzlich kam ein Mädchen in etwa meinem Alter die Treppe herunter gepoltert. „Mum, was ist hier los?“, rief sie. „Äh Schatz, können wir das später klären, bitte?“, fragte ihre Mum verzweifelt.
Nachdem wir alles, na ja fast alles, geklärt hatten (ich hatte ihnen nicht gesagt wo ich herkam), beschlossen wir ins Bett zu gehen. Ich durfte mich bei Mara, Lorenas Tochter, neben das Bett auf den Boden legen.  Ich dachte an Aria, meine kleine Feen Freundin. Schnell sand ich eine Kusshand zu ihr.
Am nächsten Tag war alles in Aufbruchsstimmung und als ich fragte wohin es ginge, antwortete Mara mir: „Meine Mum ist Schauspielerin und Sängerin, wir fahren wieder auf Tournee.“ Für die Beiden schien das nichts Besonderes zu sein und ich hatte keine Ahnung was eine Tournee war, also fügte ich und half hier und dort mit alles in den Wagen zu packen.
In den nächsten Tagen fuhren wir. Als wir an einem Wald vorbei kamen fragte ich Lorena, warum die Bäume denn gefällt wurden: „Wir leben in einer Zeit mit viel mehr Menschen, die viel mehr Materialien wie zum Beispiel Tische, Stühle oder Papier daraus haben wollen. Außerdem ist Holz ein wichtiger Rohstoff für die Industrie.“, gab sie mir Auskunft. „Aber ohne Bäume gibt es keinen Sauerstoff und ohne den funktioniert kein Leben auf der Erde!“, entgegnete ich aufgebracht. „Ja, so ist es leider.“, murmelte Lorena mit trauriger Miene. Aber so darf es nicht bleiben!, dachte ich bei mir.
In den nächsten Tagen kamen wir noch oft auf dieses Thema, besonders als wir an Flüssen, Seen und Meeren oder schmelzenden Gletschern vorbeikamen und langsam, so hatte ich das Gefühl, war auch Lorena der Meinung, man müsse etwas tun.
Auch Mara mischte sich oft ein. Eines Nachts hatte sie wohl eine Idee, denn sie kam zu meiner Matratze. „Ich habe eine Idee.“
Am Tag darauf sollte Lorena ein Konzert auf der Promenade vor einem Ostseestrand geben. Als der letzte Song geendet hatte schubste Mara mich auf die Bühne.
„Du schaffst das! Und Los!“ „Ähm, hallo.“, ich überlegte kurz und rief mir die Bilder der Katastrophen, die wir gesehen hatten, ins Gedächtnis und fasste so neuen Mut. Ich berichtete von den schweren Umweltkatastropen mit Tränen in den Augen: „Und deswegen bitte ich Sie alle von ganzem Herzen. Hören sie damit auf, keiner kann das noch viel länger ertragen!“, schloss ich meine Rede, sprang von der Bühne und fiel den Beiden um den Hals.

Autorin / Autor: Maya Vondereck, 12 Jahre