So entdeckte ich dich und die Welt

Einsendung von Julia Machado, 14 Jahre

In meiner Stille gefangen, sitze ich in meinem Zimmer. Ruhig und von der Außenwelt getrennt. Von der gemeinen, hinterhältigen Welt. Besser gesagt, die Menschen, die darin leben. Es ist 15 Jahre her, seitdem ich das letzte mal mein Haus verlassen habe. Eine gewaltig lange Zeit, in der sich bestimmt einiges geändert hat. Aber wissen kann ich es nicht. Warum ich schon so lange nicht das Haus verlassen habe? Ganz einfach. Keiner tut das. Seit der letzten Pandemie, die von einem Virus ausgelöst wurde, von dem niemand dachte, dass er solche Auswirkungen haben würde, lebt jeder hinter seiner eigenen Tür. Nach und nach, Woche für Woche schlossen sich die Menschen ein. Sie mussten es. Wir mussten es.  Kontakt mit anderen Menschen wurde praktisch ausgelöscht. Und 15 Jahre später bin ich hier. Eingesperrt. Die Menschen merkten, dass man auf unserer Erde nur leben könnte, wenn man uns, die zerstörerischen Kreaturen, einfach entfernte. Man musste die Erde vor uns schützen.
„Man wird bemerken, dass sich die ganze Welt verändern wird, aber diese Maßnahmen sind schließlich nötig.“, sagten sie. Man musste die Verbreitung von Viren stoppen, aber nicht nur das. Die Maschinen auf vier Rädern, die wir früher als Autos bezeichneten, waren pures Gift. Sie verursachten graue Luft. Graue, verpestete Luft, die wir einatmeten. Aber die Erde litt umso mehr daran. Wir Menschen verhielten uns so, als würden wir jemandem einfach die Sonnencreme wegwischen. Aus dem Grund, dass wir nur an uns denken. Genau das machten wir mit der Erde. Durch all das Plastik, durch all das Gift, das von unseren Autos ausgestoßen wurde, entfernten wir den Schutz von unserer Erde. Die Atmosphäre verschwand nach und nach. Von unserer himmlischen, grünen Erde, auf der wir leben. Keiner darf das Haus mehr verlassen, sondern baut Essen zu Hause an. Alles andere bekommen wir aus dem Internet. Das Internet kontrolliert praktisch unser Leben. Alles wird draußen kontrolliert. Deswegen traut sich auch keiner erst raus.
„Valerie! Hier ist Post für dich!“, ruft meine Mutter von unten. Wer schickt heutzutage noch Briefe? Ich gehe runter und hole mir den Brief, der in einem bräunlichen Briefumschlag steckt. Unrecyceltes Papier ist verboten. Ich schaue mir den Brief genau an und lese meinen Namen.
„Liebe Valerie, du wunderst dich bestimmt, warum um alles in der Welt dir jemand einen Brief schickt, aber ich sehe dich Tag für Tag an deinem Fenster sitzen und sehe deine von Neugier erfüllten Augen. Du willst die Welt wahrscheinlich genauso gerne wie ich sehen. Und deshalb schreibe ich dir diesen Brief. Tatsächlich habe ich alle Regeln gebrochen und bin vor einem Jahr einfach los. Ich habe mich von allen Stricken gerissen. Ich wollte die Welt sehen. Du denkst dir jetzt bestimmt, was für ein Rebell! Ja das bin ich. Deshalb möchte ich dir von allem erzählen, was sich verändert hat. Ich bin selbst so sprachlos, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Du erinnerst dich doch bestimmt an früher. An die Autos.“, ich halte kurz inne. Natürlich. Wie konnte ich diese Giftmaschinen nicht vergessen. Wie konnte das früher so normal sein? Und was wird er gleich erzählen? Auf einer Seite freue ich mich riesig über so ein Brief. Ist der von Hugo? Dem Jungen mit den markanten Gesichtszügen von nebenan, den ich immer durchs Fenster sehe? Ich will mehr. Unbedingt. Also lese ich weiter.
„Ich habe keine Autos entdeckt. Ich sehe nur kleine fliegende Roboter, die aussehen wie Spinnen aus einem robusten Material, die in der Luft schweben. Alle transportieren kleine Boxen. Unmengen an Boxen schwirren durch die Luft. All unsere Bestellungen, die in Blitzesgeschwindigkeit voller Essen, Kleidung und anderem bei uns ankommen. Was jetzt mit den Straßen ist? Sie sind leer. Leer von Menschen. Aber voller blühender Natur. Summen, Flattern, Zischen, Krabbeln. So bunt habe ich die Welt noch nie erlebt.“, ich sehne mich plötzlich nach nichts anderem mehr, als an all diese Blumen schnuppern zu können. In meinen 18 Lebensjahren, die ich jetzt hinter mir habe, habe ich die Natur immer geschätzt. Ich habe mich ins Gras gelegt. Die Augen so weit im Gras, damit ich mich fühlen konnte wie eine Ameise. Eine winzige Ameise, deren Leben einzig und allein von meiner nächsten Handlung abhing. Ich hätte meinen Daumen heben können und sie töten können. Wie ungerecht das Leben doch war. Ob es das immer noch ist?
„Als ich dann ein Taschentuch aus meiner Hosentasche gezogen hatte und mir meine Nase geputzt hatte, suchte ich nach einem Mülleimer. Aber ich fand keinen. Natürlich nicht. Was hatte ich erwartet? Den ganzen Müll, den wir produzierten, gibt es in solcher Art ja gar nicht mehr, da wir nur noch biologischen Müll oder Papiermüll produzieren. Erinnerst du dich an dieses Plastik? Wie kamen die Menschen nicht auf die Idee, eine bessere Verpackungsmöglichkeit zu finden?  Heute landet alles in unserem Kompost, wo es sich zersetzt. Unsere Energiequelle. Ohne den ganzen Müll sah die Welt plötzlich so anders aus. Wunderbar rein. Ich ging also weiter. Immer weiter geradeaus. Ich war mir der Überwachungskameras natürlich bewusst. Aber dieses Risiko war es mir wert. Ich hielt Ausschau nach Läden. Nichts. Nur Wände voller Pflanzen. Ehemalige hohe Gebäude, die so aussahen, als würden sie nur aus Natur bestehen. Unsere ehemaligen Heimatsorte wurden zu riesigen Naturimperien. Es roch alles so anders. Wie in einem Kräutergarten. Während ich so durch die von Menschen leeren Straßen zog, fühlte ich mich beobachtet. Von all den Tieren, von denen ich förmlich merkte wie sie sich fragten, was um alles in der Welt so eine Kreatur hier zu suchen hatte. Die Vielfalt überrumpelte mich. Du kannst es dir gar nicht vorstellen. Dunkles Grün hier, rosa strahlende Pflanzen da. Als ich plötzlich kurz niesen musste, weil die ganzen Pollen mich in der Nase juckten, hörte ich ein Piepen. Es war ein kurzes Piepen. Das (wie ich später merkte) das Ende meiner Reise bedeutete. Ich sah in der Ferne etwas auf mich zukommen. Es waren weiße, menschengroße Objekte. Sie kamen immer näher, bis sie vor mir standen. „Sie gefährden der Erde und verstoßen gegen die Lebens-Richtlinien. Deswegen müssen wir sie mitnehmen.“. Zwei Greifarme hielten mich, ehe ich irgendwas tun konnte, fest. Ich wurde weggeschliffen und sah in den Himmel. Ich wurde von dem Blau schon fast geblendet. Wann war der Himmel das letzte Mal so blau?“
Ich sehe nach draußen und da steht jemand. Hugo. Und er winkt mir fröhlich zu. Wie kann er nur lachen?

Autorin / Autor: Julia Machado, 14 Jahre