Herzinfarkt durch Wienerschnitzel

Einsendung von Maria Marchgraber, 21 Jahre

Keine Angst, ich werde euch nicht besonders viel von eurer kostbaren Zeit stehlen. So sehnlichst will ich sie auch wieder nicht, im Grunde hab ich ja selbst genug davon. Ich möchte euch nur schnell eine Geschichte erzählen. Seit unbesorgt, sie dauert nicht lange, ich werde euch nur kurz von der neuen Folge „das Dschungelcamp“ ablenken, vielleicht geht es sich sogar in der Werbepause aus. Ihr müsst euch nicht einmal vom Sofa erheben, nur vielleicht den Kopf leicht vom Bildschirm wegdrehen, denn so viel Aufmerksamkeit muss sein. Wir begnügen uns zwar mit einem Minimum, aber die rudimentärsten Anstandsregeln wollen wir doch beibehalten! Danke! Ich halte mich kurz, versprochen!

Ich möchte euch erzählen, von einer Kugel, die doch keine ist. Viel zu abgeflacht sind ihre Poolkappen, als dass sie als Kugel durchgehen könnte, und immer abgeflachter werden sie. Traurig ist es schon, dass sie einfach wegschmelzen, wie eine Kugel Erdbeereis in der Sonne, die sich in ein armseliges rosa Rinnsal verwandelt und nur traurige Flecken auf weißen Westen hinterlässt. Doch zum Glück ist das Eis der Pole nicht rosa, so können sie getrost vor sich hinschmelzen und trotzdem erstrahlt unsere Weste in weißestem Weiß, dafür müssen wir ausnahmsweise nicht einmal mit Fleckentferner nachhelfen.

Wie ich sie liebe diese Kugel, die doch keine ist, ein Ort wie kein anderer, wie wir so gerne zu behaupten wagen. Ein Ort, der der einzige im ganzen uns bekannten Universum sein soll, an dem Leben möglich ist! Solch ein Ort muss ein wunderschöner Ort sein, das steht wohl außer Frage.

Und wer ihn erst einmal gesehen hat, der wagt ohnehin nicht mehr an seiner Schönheit zu zweifeln. Die Oberfläche besteht fast zu zwei Drittel aus herrlich bunten Meeren aus Polyethylen, mit einer derartigen Vielfalt an Plastikflaschen, wie sie wohl auf keinem anderen Planeten zu finden ist, umgeben von traumhaften Beton-Stränden, an denen zart die angespülten Kunststoffsäckchen in der Sonne glitzern. Doch auch abseits dieser Idylle bietet dieser Ort einen nahezu märchenhaften Anblick. Besonders bewundernswert sind die Ballungszentren, in denen es geschafft wurde, unkontrolliert wachsende Pflanzen nahezu vollständig zu entfernen. Architektonische Meisterwerke in den farbenfrohsten Grautönen reihen sich aneinander, zwischen ihnen schlängeln sich samtschwarze Asphaltwege, die von glänzende SUVs bevölkert werden, einem der wenigen Fahrzeugmodelle, denen es möglich ist, sich in diesem Gelände vorwärts zu bewegen.

Doch denkt nicht, dass diese Schönheit schon immer existierte! Nein, keineswegs ist uns dieses Paradies einfach in den Schoß gefallen. Schwer haben wir geschuftet und hart dafür gekämpft, dass wir heute stolz auf diesen bezaubernden Ort blicken können. Kalt war es einst, kalt und unwirtlich. Aber wir haben Feuer gemacht unter dem Thermometer, damit die Grade brav nach oben kraxeln. Damit es auch zukünftige Generationen schön wohlig warm haben. Wir haben keine Kosten und Mühen gescheut, viele Stunden unseres Lebens hat fast jede brave Bürgerin und jeder brave Bürger in Flugzeugen verbracht, nur damit auch sie ihren Beitrag zur CO2 Emission leisten.
Natürlich ist nicht jeder mit der Weitsicht gesegnet, um die Notwendigkeit dieser Entwicklung für ein größeres Wohl anzuerkennen. Immer wieder äußern sich Kleingeister und Skeptiker und sprechen von Tsunamis und Hurrikans, Dürreperioden und dadurch verursachten Hungerkatastrophen und anderen Umweltlaunen, die im Zuge unseres Tuns hervorgerufen werden würden. Doch wir verschließen furchtlos die Augen und streben immer weiter, nach dem großen Ziel, das wir nicht kennen. Nein, wir haben keine Angst. Manche würden es tollkühn, kopflos, absolut hirnrissig nennen, wir nennen es mutig, denn sonst müssten wir noch einen Denkfehler eingestehen. Und das wäre ja doch die Höhe. Da heizen wir das Feuer lieber weiter an, obwohl nun auch uns der Schweiß auf der Stirn steht.

Heiß wird es auf dieser Kugel, die doch keine ist, heißer und immer heißer. Nun stirbt nicht nur der Lebensraum, sondern auch die -wesen.
Verzeihung, jetzt ist es doch ganz schön ungemütlich geworden. Solch ein Schock schreit praktisch nach einer Beruhigungsdroge, egal ob in Pillenform, oder ein paar Minuten Reality-TV. Ganz aufgeregt und unruhig sind wir schon geworden von diesem tristen Gerede,… wir lechzen sehnlichst nach einer spaßigeren Beschäftigung. Bei all der Besorgnis, die uns heute eingeredet wird, heißt sonst die Diagnose bald Herzrasen durch Polkappenschmelzen, da wählen wir dann doch lieber Herzinfarkt durch Wienerschnitzel.

Wer weiß wie lange sie sich noch dreht? Und wenn sie tot ist diese Kugel, oder zumindest wenn sich ihr grünes Land in Betonwüsten verwandelt hat, und aus den blauen Flüssen schwarze Asphaltströme geworden sind, wer sitzt dann auf der Angeklagtenbank? Ich oder du? Wer mag die Richterin spielen? Oder ist gerade sie die Schuldige?
Totschlag durch Dummheit, … ist das Grund genug für ein milderndes Strafausmaß? Oder wissen die Geschworenen und alle andern auch, dass es sich in Wahrheit doch um Mord gehandelt hat?

Für Wärme haben wir gesorgt. Die Hitze grillt verlässlich auch die letzte Prise Verstand. So weiß nun niemand, was zu tun ist, obwohl uns die Antwort auf tausend Leuchtreklametafeln entgegenblinkt.

Die Grundfesten dieses kunstvoll aufgebauten Kartenhauses wurden erschüttert, aber wir blieben unbesorgt, denn der Spielstand wurde in der Cloud gesichert.
Jetzt würden manche gerne das Spiel zurücksetzten, doch so einfach ist es nicht. Der Zugang zur Cloud bleibt uns verwehrt, viel zu lange schon waren wir inaktiv und unser Passwort wurde längst von Google verkauft. So bleiben Notausgang und Augen fest verschlossen und wir steuern weiter in der Einbahn auf den Abgrund zu.

Leider dröhnt die Musik zu laut aus den Kopfhörern und wir hören nicht das Navigationssystem, das brüllt: Bitte wenden,…bitte wenden,…bitte wenden…

bitte wenden…

Autorin / Autor: Maria Marchgraber, 21 Jahre