Ein Spaziergang die Straße runter

Einsendung von Sophia Schweiger, 17 Jahre

Ein grünes Fleckchen Erde. Einzelne Grashalme, die zwischen dem Beton hervorsprießen und sich eigensinnig ihren Weg an die Oberfläche erkämpfen. Rücksichtslos trampeln die Menschen über sie hinweg.

Direkt daneben ein blecherner Mülleimer, nur zur Hälfte voll. Um ihn herum jede Menge leere Verpackungen, Plastiktüten, ausgespuckte Kaugummis, die auf dem Gehsteig kleben. Achtlos hingeworfen, von Menschen, die es so eilig haben, dass sie es nicht mal schaffen, den Mülleimer zu treffen.

Auf einer hölzernen Bank, deren heller Anstrich auch schon einmal bessere Tage gesehen hat, ein alter Mann. Lächelnd, mit Vogelfutter in der Hand. Begeistert hüpfen seine gefederten Freunde um ihn herum und schlagen aufgeregt mit den Flügeln.

Dahinter der Rauchertreff. Sie stehen im Kreis, ziehen an ihren Zigaretten, tauschen Nichtigkeiten aus, pusten Rauch in die Atmosphäre. Einer hält ein kleines Kind an der Hand, das immer wieder von einem heftigen Husten geschüttelt wird.

Dann ein Baum, der seine mächtige Krone in die Höhe reckt. Sein gewaltiger Stamm lässt nur erahnen, wie viele Generationen schon täglich an ihm vorüberspaziert sind. Wie vielen Menschen er schon Sauerstoff gespendet hat. Wie viele Mägen er schon mit seinen rot glänzenden Äpfeln gesättigt hat.

Neben dem Gehsteig braust ein Auto vorbei. Eine gestresste Mutter sitzt am Steuer, die beiden quengelnden Kinder auf dem Rücksitz. Sie müssen in die Schule, die Mutter in die Firma. Eigentlich ist sie schon zu spät dran, der Umweg über die Grundschule kostet sie zusätzlich Zeit. Trotzdem wäre sie nicht im Traum auf die Idee gekommen, die Kinder aufs Fahrrad zu setzen und die paar Meter bis zur Schule selbst fahren zu lassen. Dann könnte sie auch den Bus erwischen, der direkt bei der Firma hält. Stattdessen wirft sie einen Blick auf die Uhr, gibt Gas und verpestet die Luft mit den Abgasen des PKWs.

Davon lässt sich die Frau, die in ihrem Vorgarten kniet, aber nicht stören. Voller Hingabe vergräbt sie die Finger in der Erde ihres Blumenbeets. Heute ist sie ganz entzückt darüber, wie prächtig sich ihr Kräutergarten entwickelt hat. Und die Hortensien erst! Die blühen so schön wie seit Jahren nicht mehr. Vor sich hin summend greift sie nach ihrer Gießkanne. Hoffentlich hat sie mit ihrem frisch angelegten Beet auch so viel Glück.

Auf der anderen Straßenseite biegt gerade ein Junge auf seinem Motorrad in den McDonalds Drive In ein. Er hat verschlafen, wieder einmal. Frühstück konnte er vergessen. Doch jetzt grummelt sein Magen so sehr, dass er sich doch noch entschieden hat, hier einen schnellen Stopp einzulegen. Dann gibt es eben einen Burger statt dem üblichen Rührei.

Jemand reicht ihm seine Bestellung durch das Fenster, er beißt genüsslich hinein. Das Fleisch hat eine merkwürdige Konsistenz. Zum Glück ist er in Gedanken schon bei der Mathearbeit, die er gleich schreiben wird, sonst könnte er vielleicht darüber nachdenken, warum das Fleisch so schlecht verarbeitet wurde. Oder wo es herkommt.

Der nächste Bissen bleibt ihm jedoch glatt im Hals stecken. Vor ihm läuft ein Mädchen vorbei, einen Rucksack auf den Schultern. Sie geht in seine Parallelklasse, seit Tagen will er sie ansprechen, traut sich aber nie. Zu seiner Überraschung bleibt sie vor ihm stehen.
„Wirklich? Ein Burger zum Frühstück? Und dann auch noch von McDonalds? Wenn du nächstes Mal zu spät dran bist, dann bringe ich dir was zu essen in die Schule mit, wenn du willst“, sagt sie kopfschüttelnd und bevor er antworten kann, ist sie schon weitergegangen.
Heute hat sie die erste Stunde frei. Diese Zeit nutzt sie gerne für einen Spaziergang die Straße runter. Sie hält gerne einen kleinen Tratsch mit der Frau, die sich so hingebungsvoll um ihre Blumen kümmert. Niemand sonst kennt sich so gut mit Pflanzen aus.
Jeden Morgen um dieselbe Zeit braust dann eine Mutter mit viel zu hoher Geschwindigkeit vorbei und bringt sie zum Seufzen. Vielleicht sollte sie ihr mal vorschlagen, den Kindern Fahrräder zu kaufen.

Wenn das Auto außer Sichtweite ist, verabschiedet sich das Mädchen von der Frau im Vorgarten und marschiert weiter. Um diese Jahreszeit klaut sie sich immer einen Apfel von dem altehrwürdigen Baum an der Straßenecke. Genüsslich beißt sie hinein. Heute nimmt sie noch einen zweiten und steckt ihn ein. Für den hübschen Jungen aus ihrer Parallelklasse, der wohl leider Burger zum Frühstück verspeist.
Dann marschiert sie weiter. Schon von weitem erblickt sie die übliche Gruppe Raucher und entdeckt auch das Kind. Es hustet rasselnd und erweckt sofort ihr Mitleid. Wie aus Versehen rempelt sie den Mann an, der das Kind an der Hand hält und lässt dabei seine Zigarette mitgehen.

„Tut mir furchtbar leid“, entschuldigt sie sich und tritt rasch die Zigarette aus.
„Hey, das war meine letzte“, schimpft der Mann. Das Kind holt erleichtert Luft.
Das Mädchen macht sich aus dem Staub und lässt sich ein paar Meter weiter neben dem alten Mann auf die Bank fallen. Sie steckt ihm eine nagelneue Packung Vogelfutter zu. Viele halten ihn für schräg, doch sie liebt es, ihn mit seinen Vögeln zu beobachten.
Dabei fällt ihr Blick auf den Müll, der am Boden verstreut liegt. Überall ist er, nur nicht im Mülleimer.
„Mal wieder besonders viel“, sagt der alte Mann. Sie nickt, steht auf und greift nach einer der herumliegenden Plastiktüten. Wenn schon jemand Plastiktüten kauft, sollten sie auch zu etwas nützlich sein. Kurzentschlossen sammelt sie den restlichen Müll ein, lässt ihn in der Tüte verschwinden und diese anschließend im Mülleimer.

Darunter kommen leuchtend grüne Grashalme zum Vorschein, die auf dem Gehweg eigentlich nichts verloren haben. Sie bringen sie zum Lächeln. Es sind nicht viele, nur ein paar. Doch die Natur kämpft. Da ist es nur fair, dass sie das auch tut. Jeden Tag die Welt ein bisschen besser macht, der Natur ein bisschen was zurückgibt.

Der Klimawandel ist nicht von heute auf morgen besiegt, das weiß sie. Aber kleine Schritte in die richtige Richtung sind ein Anfang. Und Anfänge bedeuten Hoffnung.


Autorin / Autor: Sophia Schweiger, 17 Jahre