Seetank

Einsendung von Vanessa Schmidt, 17 Jahre

Ein leises Zucken durchbrach die Oberfläche des Sees. Ein kleiner, roter Punkt flirrte hin und her, bevor die Angelschnur es zu sich bewegte. Der obere Stiel der Pose strich durch das türkisblaue Tief, verzerrte das Wasser. Sanfte, aufschäumende Wellen bildeten einen Kreis um den Fisch.
„Er ist ein richtiger Kämpfer,“ dachte Ronas und drehte weiter an der Kurbel. Wasserspritzer hier, Aufblitzen der Schuppenhaut dort.
Letztendlich hob er den Fisch aus dem Wasser. Ein Rotauge zappelte in seinen Fängen. Das Ergebnis einer Stunde Arbeit. Doch wohl eher des Wartens. Geschickt löste er den Haken von dessen Maul und legte den Fisch behutsam wieder ins Wasser. Es klatschte einmal kurz und Wasser spritzte auf, kleine Tropfen im Sonnenschein. Ronas wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Es war heiß, die Sonne schien mit voller Stärke. Der See jedoch, der lag still da, hin und wieder kräuselte sich das Wasser an den Ufern, kleine Wasserläufer bahnten sich ihren Weg auf der Oberfläche. Er hörte Entenschnattern und Froschquaken. Ronas saß ebenfalls still da. Die Augen aufs Wasser, seine Hände an der Angel. Er machte das jeden Tag so, es war seine Routine. Sein kleiner See. Direkt am Stadtrand. Und er liebte es. Vater liebte es auch. Er war es, der ihm das Angeln beigebracht hatte.
„Der See,“ so sprach sein Vater, „ist ein offenes System und trotzdem immer im Gleichgewicht. Es gibt, und nimmt, es produziert und verbraucht, es beherbergt sowohl Freund, als auch Feind.“
Und seit dem Tag an dem er seinen ersten Fisch, es war eine kleine Brasse, gefangen hatte, ging er jeden Tag fischen.

So oder so ähnlich wäre es auch weitergegangen, jeden Tag aufs Neue, als liebliche Monotonie, wenn der Fortschritt der Veränderung seine Pflicht nicht zu erfüllen hätte.

Eine neue Firma wurde gebaut, neben dem See. Irgendwas mit Agrarwirtschaft, Chemie, produzierten Düngemittel oder etwas anderes in der Art. Es interessierte ihn nicht, es war wie jedes neue Gebäude auch: Betoniert, groß, existent.
Es interessierte ihn nicht. Wahrscheinlich weil er nie danach gestrebt hat, es zu verstehen. Sich weiterzubilden und sich damit auseinanderzusetzen.
Der See veränderte sich, ein Ökosystem zusammengesetzt von vielen Elementen, tierisch, pflanzlich, wetterbedingt, ist ausgesetzt. Wem? Dem Menschen? Nicht direkt. So denkt man zumindest. Ronas bemerkte es nur langsam, sehr langsam.
Die Algen begannen zu wachsen, doch das tun sie normalerweise auch. Nur nicht so, diesmal war es anders, das Ausmaß ein anderes, der See sah allmählich grüner aus, wie ein Feld, übersät vom unterseeirdischen Weizen.
Er dachte sich nichts dabei, es war ein heißer Sommer, Nährstoffe erfüllten das Wasser. Sommerstagnation. Die Fische wurden mehr, er hatte fast jede zwanzig Minuten einen Friedfisch an der Angel. Mulmiges Gefühl setzte ein, Unbehagen, vielleicht eine böse Vorahnung. Er wusste sich nicht zu helfen und die Zeit floss allmählich davon.
Man konnte es nicht sehen, wenn man die Augen, die Nase, seine Sinne davor verschloss. Sich wegdrehte und dem See den Rücken zuwand.

Mit dem Geruch, veränderte sich auch die Färbung des Sees. Es wurde unangenehm.
Wo noch Kinder fröhlich während des Sommers im seichten Wasser gespielt haben, plätscherte ihm nun fröhlich der Geruch des Faulschlamms entgegen. Dunkel und trüb, immer stärker.
War es zu spät?

Ronas machte einen Spaziergang, Wind blies ihm um die Nase und stumm hielt er ein Blatt Zeitung in der Hand.
„Umweltskandal. Verschmutztes Grundwasser. Eine mögliche Verbindung zu der Firma, und noch mehr Worte dieser Art."
Über den See, seinen türkisblauen, kleinen See sprach niemand. Nebensache.
Egal, schließlich ging er nun angeln. Seine Angel aber ließ er zu Hause, aus reiner Absicht, Gewohnheit. Ronas war Mitglied der Freiwilligen Gewässersanierung e.V. geworden. Er angelte nach Algen, Unterwasserpflanzen, nach allem was den Nährstoffgehalt eines schon geschädigten Sees noch vergrößert. Es war eine lästige Arbeit, zudem auch noch Plastikreste, Müll und Sonstiges den See zierten. Wie selbstverständlich existierte es, am See, im See, neben dem See, überall da, wo es nicht hingehörte. Ein Handgriff und es war weg, bis es wiederkam, irgendwie. Es war aber nicht sein See, der See am Stadtrand, den er befreite, dessen Ökosystem er wieder etwas belebte.
Sein See war verändert, verblutet, immer wieder ging er daran vorbei, nach getaner Arbeit, auf dem Weg zurück in die Stadt.
Dunkle Pflanzen bedeckten den Uferrand, wucherten orientierungslos, willkürlich. Und kleine Insekten, meist Fliegen, flirrten über die Oberfläche, drehten ihre Kreise, eine Runde nach der anderen, brummend, desorientiert. Ronas zuckte leicht zusammen, als er seinen Blick weiter nach unten streifen ließ. Da ruhte eine kleine, leblose Brasse, vor seinen Füßen am Uferrand. Angespült, tot. Das Moor lag still da.

Autorin / Autor: Vanessa Schmidt, 17 Jahre