Phasen der Veränderung – Auszüge aus einem Tagebuch

Einsendung zum Schreibwettbewerb Zeilengrün von A. B., 25 Jahre

*13. März 2020*
Total verrückt. Ab Montag schließen sie jetzt die Schulen und Kindergärten. In ganz Deutschland! Dabei hieß es die ganze Zeit, das ist gar nicht schlimm, keine Panik, nur eine Grippe. Ob ich meinen Job behalte? Als hätte das Jahr nicht schon verrückt genug angefangen, mit diesen Waldbränden. Die haben das Feuer ja immer noch nicht unter Kontrolle. Da soll noch mal einer sagen, es gibt keinen Klima-Wandel. Das ist echt schon richtig unheimlich. Und jetzt sowas. Ein weltweiter Virus. Wie im Film. Das kommt mir alles total surreal vor.
Heute im Wald haben wir etwas richtig Tolles entdeckt: Auf dem kleinen Tümpel war alles voll mit Froschlaich. Sowas hab ich noch nie gesehen! Das waren bestimmt Millionen kleine Eier oder so. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass das mal Frösche werden.

*21. März 2020*
Zwei Wochen geht das jetzt schon. Ich verlasse nur noch zum Gassi gehen das Haus. Ist doch alles bescheuert. Ich bin ja mal gespannt, ich wette in nem Monat ist das ganze vorbei und keiner erinnert sich mehr dran. Wie immer. Flüchtlingskrise, Schweinegrippe, Klimakatastrophe. Alles großes Drama und sobald was Neues kommt, ist das Thema vergessen. Mal sehen wie lange das diesmal anhält. Naja, mir doch egal. Mir gehts gut hier. Wir haben alles was wir brauchen. Sollen die mal machen. Spazieren waren wir heute nicht. Hab da langsam keinen Bock mehr drauf. Immer nur der gleiche Wald.

*30. April 2020*
Das ist doch echt zum Kotzen. Jetzt beschweren sich die Leute, dass sie Masken tragen müssen. Wie schwer kann das sein? Da gibt es eine einfache Möglichkeit, uns vor einer Pandemie zu schützen, und denen ist das schon wieder zu unbequem. Typisch. 500 Meter zu Fuß gehen? Nee, da fahren wir lieber mit dem Auto. Klimawandel ist doch eh erfunden. Wir müssen jetzt einen Schal vor dem Gesicht tragen? Unverschämtheit! Alles nur Verschwörung! Das nervt doch. Da könnte man mit einem winzigen Beitrag etwas Gutes für den ganzen Planeten tun, und es ist zu viel verlangt. Währenddessen sitzen die Leute im Altersheim und kommen überhaupt nicht mehr nach draußen. Anstatt dass sich die Politik da mal was überlegt. Nee, das ist wieder nicht wichtig genug. Denen geht es doch nur ums Geld. Würde mich nicht wundern, wenn die das alles ausnutzen, um vom Klima abzulenken, wo da sich gerade mal was bewegt hat. Wenn das dann alles vorbei ist, heißt es doch eh, jetzt muss erst mal wieder die Wirtschaft aufgebaut werden. Scheiß doch auf die Zukunft unseres Planeten, ist ja dann nicht mehr unser Problem.
Ich hab gut reden. Ich sitz hier in meiner gemütlichen Wohnung und trage auch nichts Sinnvolles zur Gesellschaft bei. Ganz toll. Naja. Wenigstens waren wir heute mal wieder im Wald. Der ganze Tümpel war voll mit Kaulquappen! Das war vielleicht ein Gewusel. Man konnte gar nicht richtig die einzelnen Kaulquappen sehen, so wild sind die auf einem Haufen durcheinander geschwommen.

*10. Juni 2020*
Langsam kann ich nicht mehr. Was, wenn es das jetzt gewesen ist? Wenn es nie wieder normal wird und ich niemals die Chance habe, all die Dinge zu machen, die ich machen wollte. Langsam werde ich doch ziemlich einsam zu Hause. Aber Freunde kennenlernen? Das ist im Moment nicht angesagt. Ob das wohl je wieder gehen wird? Heute regnet es den ganzen Tag. Ich habe überhaupt keine Lust mehr, irgendetwas zu machen. Hat ja doch alles keinen Sinn. Zumindest duftet der Busch vor unserem Haus so gut. Das muntert mich immer ein bisschen auf. Und unser Garten blüht auch so schön! Manchmal sitze ich einfach vor dem Fenster und beobachte die Vögel. Das ist so schön anzusehen, wie die sich streiten oder tanzen und die Mamas ihre Küken füttern. Von den Kaulquappen haben wir heute nicht so viel gesehen, der Tümpel war ganz schlammig und verregnet. Erst dachte ich schon, die sind vielleicht alle gestorben. Aber dann habe ich doch ein, zwei zappeln gesehen. Das ist irgendwie beruhigend. Egal wie verrückt die Welt ist, die Kaulquappen wissen nichts davon und schwimmen immer weiter in ihrem kleinen Tümpel. Wenn ich das richtig gesehen habe, haben sie jetzt schon kleine Beine.

*8. Juli 2020*
Heute war ich zum ersten Mal wieder einkaufen. Ich war richtig aufgeregt! Ich bin ziemlich beeindruckt, wie gut die Leute sich an alles halten. Das hätte auch ganz anders aussehen können. Ich habe auch das Gefühl, daSs richtig viele neue Ideen entstanden sind durch diese Krise. Da gab es Angebote für Kinder über das Internet, jeder geht plötzlich spazieren, backt Brot selber und startet Gartenprojekte. Und man fragt sich plötzlich WIRKLICH gegenseitig, wie es einem geht und wie man sich gegenseitig helfen kann. Da sieht man mal, wie anpassungsfähig und kreativ wir als Menschheit mit Problemen umgehen können. Ich glaube, viele Leute haben jetzt erst gemerkt, wie viel sie als Einzelner ausrichten können und sich Gedanken darüber gemacht, was ihnen eigentlich wichtig ist. Man hat jetzt ja auch mal gesehen, wie schnell wir als Gesellschaft Sachen umsetzen können. Zum Beispiel das mit dem Homeschooling und Home-Office. Komisch – für das Klima ging das vorher nicht. Ich hoffe echt, dass diese Energie irgendwie erhalten bleibt. Ich hab schon irgendwie das Gefühl, dass sich in mir etwas verändert hat. Und um mich herum auch. Ich glaube, ich habe in diesem halben Jahr mehr über die Natur und Tiere gelernt, als in meinem ganzen Leben vorher. Zum Beispiel, wie aus Kaulquappen Frösche werden. Welche Vögel in unserem Garten leben. Welches Gemüse man anpflanzen kann. Ohne die Natur hätte ich diese Zeit glaube ich nicht so gut überstanden. Es ist irgendwie schön, sich als Teil von einem riesigen System zu fühlen, in dem alles miteinander verbunden ist und alles irgendwie immer weitergeht. Übrigens: Die „Kaulquapen“ sind jetzt kleine Fröschlein geworden! Aber sie haben noch ihr Schwänzchen. Das sieht lustig aus, weil sie beim Springen immer noch ganz wackelig sind. Ich bin mal gespannt, wann sie dann als richtige Frösche bei uns im Garten ankommen.