Alles wie immer

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Pauline Weinberg, 17 Jahre

Mühsam hebt und senkt sich die magere Brust des Jungen. Sein Atem rasselt, als würde seine Lunge jeden Moment zerbersten. Es ist kalt um ihn herum, dass weiß er, doch spüren tut er es nicht. Die von dunklen Schatten umrandeten Augen starren auf seine nackten Füße. Er versucht seine Zehen zu bewegen, damit sie nicht einfrieren, doch es will ihm nicht ganz gelingen. Er blinzelt ein paar mal, dann gibt er auf und legt seinen Kopf in den Nacken. Die schwarzen Staubpartikel in der Luft haben sich schon längst in jeder Pore seiner Haut festgesetzt, doch es stört ihn nicht. Nicht mehr. Schließlich ist alles schwarz. Der Himmel ist schwarz, der Boden ist schwarz, alles um ihn herum scheint von der schwarzen Schicht dunkel gefärbt zu sein. Manchmal glaubt er aber auch einfach, dass sich die Schwärze nur in seinen Augen abgesetzt hat und deshalb alles so ist wie es ist. Dunkel.

Das Aufstehen fällt ihm schwerer als sonst, vielleicht weil heute der Wind den schwarzen Staub stärker aufwirbelt. Seine Schritte sind schwerfällig wie die eines alten Mannes. Seine Haut ist von tiefen Furchen durchzogen, trocken und rissig. Doch er stört sich auch daran nicht sonderlich. Er weiß, dass es nicht besser werden wird, wenn dann noch schlimmer. Er ist an die ewige Dunkelheit, die verstaubte Luft, das schwarze Wasser und seine Schmerzen gewöhnt. Es ist schließlich alles wie immer. Nur eine Sache ist anders. Es ist still. Nicht einmal der störrische Wind gibt einen Laut von sich. Es scheint als wäre er der einzige Mensch auf dieser Welt, und wer weiß, vielleicht ist er es. Denn schließlich ist das jetzt das Ende und irgendwer muss eben am Schluss übrigbleiben. Bevor seine Mutter starb, trug der kleine Junge einen sprießenden Keim der Hoffnung in sich, dass es alles vielleicht irgendwann wieder gut werden würde. Dass die schwarze Staubschicht die den Himmel abdunkelt verschwinden würde. Dass das Wasser im Fluss nicht mehr vom Öl verseucht sein würde. Dass wieder ein Baum wachsen kann.

Der Moment in dem er erfahren musste, dass er den Keim im schwarzen Staub ersticken musste, war der Moment, in dem seine Mutter nicht mehr lächeln konnte. In dem sie nicht mehr aufstehen und weiterlaufen konnte. In dem der Staub ihre Lippen eingetrocknet ihre Augen leer und ihren Atem erstickt hat. Doch es schien als wäre mehr als nur die Hoffnung an diesem Tag in dem Jungen gestorben. Früher hätte er nie daran geglaubt, dass seine Welt einmal untergehen würde. Schließlich hatte sich niemand dafür interessiert, dass immer mehr Länder immer öfters von Naturkatastrophen heimgesucht wurden, dass Öl das Wasser verpestete, das Hurricans ganze Wälder niederrissen, bis der Tag kam, an dem die Sonne nicht mehr aufging. An dem sich die Luft in den trockenen Staub verwandelte und es kalt wurde. Bis zu dem Tag an dem alle krank wurden, die letzten Stromreserven verbraucht war und das Wasser aufhörte, sich selbst zu reinigen. Aber wer hätte denn schon damit rechnen können, dass die gesamte Welt von einer riesigen staubigen Aschewolke umgeben sein würde? Wer hätte denn wissen können, dass die Chemielabore explodieren könnten und alle Menschen tot krank werden würden? Wer auf dieser Welt hätte sich denken können, dass irgendwann das Öl, das ins Meer floss, auch das Grundwasser verseuchen könnte?  Vielleicht hätte man es stoppen können, denn es muss schließlich Menschen gegeben haben, denen dies bewusst war. Vielleicht hätten sie eine Chance gehabt. Doch es bleibt immer ein Vielleicht, denn jetzt ist er allein. Allein in der Dunkelheit. Allein in der Stille. Und vielleicht sogar allein auf dieser Erde.

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