Eingesperrt- Es gibt kein Entkommen

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Pauline, 20 Jahre

Eng auf eng standen Jogi und Hanna nebeneinander. „Da fehlt einem die Luft zum Atmen“, seufzte Hanna. „Ach vor ein paar Jahren, war es noch schlimmer“, entgegnete Jogi. „Noch schlimmer? Geht das?“ „Aber ja, glaub mir.“ „Hast du das etwa miterlebt? Glaube wohl kaum, das sind nur Geschichten. Von denen lebt niemand mehr“, Hanna wollte nichts davon hören. Was half es ihr zu wissen, dass es vor ein paar Jahren noch schlimmer war. Das machte ihre Situation auch nicht besser. Ihre halbe Familie war fort. Die Brüder wahrscheinlich längst tot, die Hälfte ihrer Kinder ebenfalls. Die anderen liefen verstört im Kreis, insoweit das möglich war. Es gab keine Luft zum Atmen. Sie wollte raus, einfach weg hier. Nicht mehr den ganzen Tag arbeiten müssen, etwas von der Welt sehen, mit denen die hier noch übrig waren. Und dabei musste sie froh sein, überhaupt noch zu leben. Es hätte noch schlimmer sein können. Kam es vielleicht auch noch. Manche waren einfach fort, weg, und kamen nie mehr wieder. Aber kaum einer merkte es. Sie waren hier so viele. Und ständig neue. Jogi wollte sich die Beine vertreten. Auch sie sehnte sich nach Sonne und Freiheit.

„Wenigstens haben wir uns beide.“ Nur für wie lange, ist die Frage, dachte sich Hanna. Das konnte doch nicht der Sinn des Lebens sein, hier eingepfercht. Sie fühlte sich so schrecklich, am liebsten wollte sie schreien und weinen zugleich, aber niemand schien ihre Stimme zu hören. An keinem Tag war es hier drin aushaltbar. An manchen hatte sie ihr Schicksal beinahe akzeptiert, an anderen drehte sie völlig durch und begann die anderen Opfer hier drin zu verletzen. Das passierte oft. Wer waren nur diese Leute, die ihr das antaten? Und warum?

Greta, die älteste, die hier eingesperrt war, erzählte manchmal Geschichten, Geschichten die so schön waren, dass Hanna sogar schon von ihnen geträumt hatte. In dieser Geschichte waren sie draußen, die Sonne schien und manchmal regnete es. Das Gras kitzelte, die Blumen blühten. Natürlich konnte Hanna gar nicht wissen, was das eigentlich bedeutete, wenn Greta sagte, die Sonne scheint, oder was Regen war, oder Gras. Hanna stellte es sich nur vor. Und in ihrer Vorstellung war es wunderbar. Sie würde frei sein. Müsste nicht mehr für diese Leute arbeiten und war mit ihrer Familie zusammen.

„Glaubst du Greta, es wird irgendwann mal passieren?“
„Was passieren?“
„Dass das alles Wirklichkeit wird, dass wir nicht mehr eingesperrt sind, dass wir draußen sein dürfen. Frei sind. Alle zusammen.“
„Ich weiß es nicht, Hanna. Ich hoffe es sehr. Im Moment sieht es nicht danach aus. Zumindest ich werde es nicht mehr erleben“, denn Greta hatte eine Ahnung, dass ihr kurzes Leben nicht mehr lange dauern würde, „Aber ich wünsche es mir für dich, meine Kinder, Enkel und Urenkel.“

Hanna kuschelte sich an Gretas weiche Federn, schloss die Augen und versuchte sich das Leben in Freiheit vorzustellen und die Männer, die jetzt kamen zu ignorieren. Einer sammelte die Eier ein. Ein anderer packte einige von ihnen und quetschte sie in riesige Wannen, die schon längst voll waren und nahm sie mit. Insgeheim wusste Hanna, was mit ihnen geschah. Sie wollte es sich nur nicht so genau vorstellen, weil sie sie ganz sicher war, dass es in Wirklichkeit noch viel schlimmer war.

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