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Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Jessica Burger, 19 Jahre

Sie haben Ihr Ziel erreicht

„Wirklich? Das hier sieht nicht sehr nach einem Naturschutzgebiet aus.“

Sie haben Ihr Ziel erreicht.

„Schon gut.“

Bitte betreten Sie das Gebäude zu Ihrer rechten Seite.

„Ist es nicht ein wenig ...“

Bitte betreten Sie das Gebäude zu Ihrer rechten Seite.

„Heruntergekommen. Man würde denken, dass die Orga mit dem vielen Geld wenigstens ein Haus in Stand halten kann.“

Auskunft über Ausgaben der Third World Environment Organisation nicht gestattet. Bitte betreten Sie das Gebäude zu Ihrer rechten Seite.

Manu gab es auf, mit dem Protokoll zu reden. Es schien anders als die KIs, die in der Stadt alltäglich waren, nicht für Konversation programmiert worden zu sein. Ganz zu schweigen von seiner nervigen Angewohnheit, Befehle zu wiederholen, bis man davon wahnsinnig davon wurde.

Er ging durch die Eingangstür des Orga-Hauses und fand sich in einem kahlen Raum wieder, durch dessen Decke sich ein großer Riss zog. In einer Ecke gaben ein paar alte Sessel, die um einen Tisch standen, dessen Oberfläche so schief war, dass man dort nicht sein Wasserglas hätte abstellen wollen, ein trauriges Bild ab. An einer Wand hingen veraltete Poster, auf denen man blass noch das Logo der Orga ausmachen konnte.

Bitte warten Sie einen Moment, ein Mitarbeiter wird gleich bei Ihnen sein.

„Ganz sicher? Es sieht nicht gerade so aus als ob hier in letzter Zeit jemand da war. Geschweige denn dass jemand hier lebt.“

Bitte warten Sie einen Moment, ein Mitarbeiter wird gleich bei Ihnen sein.

Manu hatte daran seine Zweifel, sprach das Protokoll aber nicht noch einmal an. Stattdessen ging er zu den Sesseln, suchte sich den aus, der am wenigsten so aussah als würde er spontan in sich zusammenfallen und setzte sich vorsichtig. Der Sessel gab ein seltsames Geräusch von sich, hielt Manus Gewicht aber stand.

Was war das hier? Er hatte ein blühendes Naturgebiet erwartet und eine ordentlich ausgestattete und moderne Zentrale. Stattdessen – das. Ein heruntergekommenes Haus inmitten von Land auf dem nichts wuchs. Von den Bildern auf der Webseite hatte er einen ganz anderen Eindruck bekommen.

Ein Mitarbeiter ist auf dem Weg zu Ihnen. Bitte haben Sie noch einen Moment Geduld.

Tatsächlich waren in einer Ecke des Raumes Schritte zu hören. Kurz darauf wurde ein Vorhang, der vor Jahren einmal rot gewesen sein könnte, beiseite geschoben und ein alter Mann kam zum Vorschein. Hinter ihm sah Manu für einen kurzen Augenblick ein anderes Zimmer, allem Anschein nach ebenso trist wie das, in dem er gerade saß.

„Du bist der Neue, was?“

Sein Gesicht war von Falten zerfurcht. Ungewöhnlich, in der Stadt hatte niemand so alt ausgesehen, dafür sorgten flächendeckende Schönheitsoperationen.

„Ja. Ich bin Manu.“ Er stand auf. „Sind Sie Herr Liebig?“

Der Alte schüttelte den Kopf. „Der ist weg.“

„Weg?“

„Gelaufen ist er. Zur Tür raus und gelaufen.“

„Wohin?“

„Nirgendwo hin. Es gibt hier nichts.“

„Aber wieso? Das hier soll eines der letzten großen Naturschutzgebiete sein, es werden jedes Jahr Milliarden von Geldeinheiten hier reingesteckt.“

„In das Projekt, ja. Der Vorstand vergreift sich gerne daran, da bleibt nicht alles übrig. Und dann geht das meiste vom Rest in die Pumpe. Soll die Luft reinigen und den Boden noch dazu, nicht dass es viel bringt.“

Manu schüttelte unwillig den Kopf.

„Aber es hätte doch sicher jemand bemerkt, dass das Projekt nicht funktioniert. Irgendjemand. Und hätte es an die Öffentlichkeit gebracht.“

Der Alte grinste. „Es kann niemand was bemerken wenn niemand hierher kommt. Die Leute bleiben alle in ihren Städten. Und von denen, die doch hier landen, hat bisher noch keiner geredet.“

Manu war still. Das Grinsen auf dem Gesicht des alten Mannes wurde immer breiter.

„Komm mit.“

Der alte Mann führte ihn in das andere Zimmer und Manu folgte unsicher. Im Nebenraum standen ein großer runder Tisch ohne Stühle und einige wenige Regale, auf denen sich seltsame Gerätschaften und ein paar Bücher abwechselten, die schon kurz vor dem Auseinanderfallen waren. Als Manu eines anfassen wollte, wirbelte er eine Staubwolke auf und musste husten.

In einer Ecke gab es einen Durchgang zu einem Treppenhaus.

„Du wirst da oben wohnen, drittes Zimmer links.“

„Und was machen?“

„Nichts. Alles. Was auch immer du willst. Wir haben viel Zeit.“

„Ich bin hergekommen, um die Umwelt zu retten.“

„Dafür bist du zu spät. Dafür war es vor fünfzig Jahren schon zu spät. Die Erde stirbt und ihr in euren Städten, ihr merkt es nichtmal. Ihr denkt, dass alles in Ordnung ist, weil ihr es ja hört, jeden Tag – dass alles in Ordnung ist, dass andere Leute sich darum kümmern, dass Fortschritte gemacht werden. Du siehst es ja, hier ist nichts mehr und überall sonst auch nicht.“

„Also machen wir nichts? Wir sitzen einfach hier und – “

„Warten.“

„Bis alles tot ist?“

„Zumindest bis wir es sind.“

„Und dann?“

„Dann ist es nicht mehr unser Problem.“

Manu schwieg. Dann: „Ich kann verstehen, wieso er weggelaufen ist. Der Liebig.“

Das Lachen des alten Mannes, das darauf kam, war hohl.

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