Wahl der Realitäten?

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Chase, 14 Jahre

Übermüdet wache ich auf und quäle mich förmlich die Treppe in die Küche runter. Das erste, was ich jetzt brauche ist ein Kaffee. Ach, was denk ich da. Wir wissen doch alle, dass das kein Kaffee ist, sondern nur wasserlösliche Brocken mit Kaffeearoma. Während ich diesen Satz zu Ende denke, greife ich nach dem Käse. Wenn ich genauer darüber nachdenke, steht zwar „Analogkäse“ darauf, doch wissen wir alle, dass es in Wahrheit nur eine gelbe Masse aus Käseersatzstoffen ist. Etwas angewidert von mir selbst trinke ich meinen Fake-Kaffee und beiße in mein Brötchen mit meinem Fake-Käse. Wie jedes Mal nach dem Frühstück, gehe ich zu einer Schublade, die sich im Wohnzimmer befindet, öffne sie und entnehme ihr eine orangefarbene Pille, die ich mit Wasser schlucke. Das sind meine Vitamintabletten. Die muss ich zum Ausgleich wegen des „Fake-Essens“ nehmen. Nachdem ich mich fertig für den Tag gemacht habe, gehe ich in den Keller, da ich meinen Dad dort vermute.

Unten erstarre ich für einen Moment. Zum ersten Mal kann ich durch die sonst verschlossene Tür blicken. Was ich sehe, kann ich selbst nicht glauben! Überall stehen Gläser mit... bevor ich zu Ende denken kann, wird mir schlecht und das Fake-Frühstück meldet sich aus meinem Magen. Bevor ich mich übergeben kann, höre ich Schritte. So schnell ich kann renne ich die Treppe hoch. Als ich meinen Vater “Ich kann das erklären, warte! Ich tue das für die Menschheit!“ rufen höre, stehe ich schon keuchend vor dem Fenster in meinem Zimmer. „Warum zur Hölle waren da in den Gläsern so viele Embryonen?!“ Das ist das letzte das aus meinem Mund kommt, bevor ich beschließe aus dem Fenster zu springen, da ich die Schritte meines Vaters höre. Ich muss hier einfach weg! Während ich falle sehe ich knapp vor dem Aufprall eine lila schimmernde Masse, die zu schweben scheint. Ich presse meine Augen zusammen und falle durch diese Masse hindurch.

Nachdem ich etwas unsanft auf einer Weide lande, taste ich erst mal meinen Körper hektisch ab, ob noch alles an mir dran ist. „Puh, was war denn das bitte?! Und wo bin ich überhaupt?!“ Ich folge einem Asphaltweg, der mich in ein Dorf führt. Ein paar Leute fegen vor ihren Häusern. Kinder spielen und die Sonne scheint. Es ist sehr idyllisch. Mir fällt auf, dass umso weiter ich gehe, die Häuser immer zerfallener aussehen. Von hinten überholt mich jemand mit seinem knarrenden Moped, an dem sich ein Anhänger mit einem großen Müllsack darauf befindet. Mit meinem Blick folge ich ihm, wie er links in eine kleine Seitengasse einbiegt. Ich kann noch erkennen, wie er eine Haustür öffnet und ihm prompt ein paar Müllsäcke entgegen fallen. Mit beiden Händen versucht er alle wieder hineinzustopfen. Irritiert versuche ich weiter zu gehen und mir darüber keine Gedanken zu machen. Ich biege rechts in eine Straße ein. Ich taumle gegen einen Müllsack und stolpere wieder in diese lila schimmernde Masse.

Auf der anderen Seite kann ich mich fangen, bevor ich falle. Schnell bemerke ich: Hier ist eine noch größere Menge Müll auf den Straßen. Ich kann keine anderen Lebewesen sehen. Mir ist kalt und der Himmel hat sich schwarz gefärbt. „Hier stinkt es so!“ Ich halte mir beim Laufen die Nase zu. Rechts und links stehen kaputte Häuser. Alles hier ist düster. Nach ein paar Metern steht ein Schild vor mir: „Atomkraftwerk Philippsburg“. Direkt dahinter ist ein riesiger Krater. Anscheinend ist hier dieses Atomkraftwerk explodiert und hat alles Leben weit und breit ausgelöscht.
Ich schaue mir den Krater genauer an und … rutsche ab! Plötzlich öffnet sich unter meinen Füßen das Portal.

Wie die anderen Male, komme ich ganz woanders wieder an. Nach ein paar Sekunden begreife ich, dass ich direkt in einen riesigen Container voller geschreddertem Fleisch gelandet bin. So schnell ich kann klettere ich aus der Fleischmasse heraus. Ich sehe eine Treppe, die anscheinend nach oben führt. Ich weiß nicht wohin, aber ich folge ihr – Hauptsache weg von diesem traumatischen Erlebnis. Oben angekommen merke ich, dass ich mitten in einer riesigen Hühnerfabrik gelandet bin. Um mich herum sind überall Fließbänder auf denen sich kleine Küken befinden. Menschen in weißen Schürzen und Hauben stehen an den Fließbändern. Sie picken sich ein Küken nach dem anderen, checken das Geschlecht und je nachdem wird es weiter geschickt oder getötet. Die männlichen Küken werden lebendig in einen Schredder befördert. Jährlich werden in Deutschland 50 Millionen männliche Küken getötet. Ich weiß das so genau, da wir das letztens im Unterricht besprochen haben. Da ich mir das nicht länger anschauen kann, gehe ich zurück zu der Treppe, die ich zuvor hochgekommen bin und setze mich auf die unterste Treppenstufe. Nach kurzer Zeit verschwindet sie und verwandelt sich in das lila schimmernde Portal. Endlich werde ich wieder eingesaugt.

Am anderen Ort angekommen, finde ich mich auf einer leuchtend grünen Wiese neben einem plätschernden Bach wieder. Ich sehe ihn mir genauer an. An mehreren Stellen befinden sich Wasserräder darin. Ich schätze, daraus wird Strom gewonnen. Kleine bunte Fische schwimmen darin und das Wasser sieht sehr klar aus. Ich gehe weiter und sehe eine große Weide vor einem Bauernhof. Auf der Weide laufen träge Kühe herum, Pferde grasen und kleine Küken laufen piepsend hinter mehreren Hühnern und einem Hahn her. Ich drehe mich um und laufe in die andere Richtung, bis ich irgendwann andere Häuser und Menschen sehen kann. Auf den Dächern befinden sich Solarplatten. Auf den Straßen kann ich eine grüne Welle erkennen. Es ist quasi immer grün, weil ein Computersystem den Verkehr beobachtet und leitet. So werden von den Fahrzeugen weniger Abgase in die Luft ausgestoßen und man spart viel Zeit. “Ich wünschte bei uns wäre das auch so.“, denke ich, bis ich irgendwann bemerke, dass ich mich auflöse. Ein letztes Mal lasse ich alles auf mich wirken, bis ich schließlich endgültig aufgelöst bin. Ich finde mich auf meinem Bett wieder und frage mich: „In welcher Welt will ich leben?“

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Autorin / Autor: Chase, 14 Jahre