Karma

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Caroline, 14 Jahre

"Eisbären braucht doch keiner."
"Ist doch schön, wenn es wärmer wird, dann muss ich im Urlaub nicht so weit weg fahren."
"Wenn die Welt untergeht, bin ich schon lange tot." So dachte ich damals.
Ich, 36, betrieb keine Mülltrennung und aß mittags Chicken Tikka aus der Plastikpackung.
B.B., der CEO der Firma, in der ich arbeitete, hatte mich und ein paar andere zu einem wichtigen Meeting in Key West, Florida, eingeladen. Seinen richtigen Namen kannte ich nicht, er hatte sich nur mit B.B. vorgestellt. Er hatte es damals wie "Bibi" ausgesprochen, was ich irgendwie lustig fand.
Vielleicht stand es für "Big Boss" oder so etwas. Auch mein Freund und Kollege Stan war dabei, als wir uns frühmorgens am Flughafen versammelten. Das machte die Angelegenheit ein bisschen besser, ich war noch nie gerne geflogen.
Am Check-In-Schalter jammerte die jungen Dame über den ganzen Stress diese Nacht, die hängengebliebenen Fluggäste, die Stürme, den Klimawandel und so. Ich hörte ihr nur halbherzig zu.
In der Wartezeit las ich meine Zeitung. "Waldbrände in Kalifornien fordern viele Opfer", "Überschwemmungen bald auch in IHRER Stadt?" und "Erddurchschnittstemperatur um 1,2°C gestiegen", waren heute die Schlagzeilen. 
Diese Themen interessierten mich nicht; ich legte die Zeitung weg und holte mir einen Kaffee.

"Das Boarding für den Flug BA740 beginnt jetzt", tönte es aus dem Lautsprecher und wir standen auf. Nachdem wir unsere Plätze, 28E und F, eingenommen hatten und die Maschine mit lautem Getöse gestartet war, rollte der Getränkewagen schon durch den schmalen Gang. Während ich mich über die homöopathische Dosis Sekt in der Sektschale, die die Stewardess mir einschenkte, ärgerte, bestellte Stan sich einen "naturtrüben Bio-Apfelsaft", wobei er das "Bio" betonte. Das verwirrte mich etwas, denn so wie ich Stan kannte, hätte er sich auch einen Sekt, wenn nicht sogar einen Whiskey bestellt. Nachdem ich dann, Salamitoast kauend, auch noch feststellen musste, dass er sich für das Gurken-Hummus-Sandwich entschieden hatte, beschloss ich, ihn auf sein Verhalten anzusprechen. "Du Stan, was soll das eigentlich mit diesem Ökogetue?", sagte ich und biss mir sofort auf die Zunge, weil das so unfreundlich geklungen hatte.
"Weißt du es etwa nicht? Meine Freundin ist neuerdings Veganerin und ich tue es ihr gleich. Aber da bin ich nicht der Einzige. Jeff, Hale und Harrison kaufen doch auch nur noch im Reformhaus ein!".

Pling! Im gleichen Augenblick ertönte der Benachrichtigungston unserer Tablets. B.B. hatte uns eine Mail geschickt. Sein Flug war wie viele andere auch wegen heftiger Gewitter irgendwo über dem Atlantik annulliert worden. Das Meeting würde nun erst morgen abend stattfinden. Das freute mich, denn auf einen stressigen Abend nach einem 9-stündigen Flug hatte ich nun wirklich keine Lust.
Ich hoffte auch, dass Stan unsere Diskussion schon vergessen hatte, denn ich wusste, dass mir sonst eine Moralpredigt blühte.
Natürlich hatte er es NICHT vergessen, und es kam genau so, wie es kommen musste: "Hey, wieso probierst du dich nicht auch mal als Veganer aus? Oder wenigstens Vegetarier? Du trennst ja nicht mal deinen Müll, oder? Dabei leben wir im 21. Jahrhundert. Umweltschutz ist IN!"
Mir doch egal, was in ist oder nicht, dafür mag ich mein Frikadellenbrötchen vom Metzger viel zu gerne, dachte ich und gab einen unverständlichen Laut von mir. Stan verstand es offensichtlich als Nein, doch bevor er wieder loswettern konnte, wandte ich ein: "Warum dürfen alle möglichen Tiere denn ihr Fleisch essen und der Mensch nicht? Das ist doch dämlich. Fressen und gefressen werden. So läuft das!"

Doch natürlich wusste er wieder eine schlaue Antwort darauf: "Willst Du jetzt etwa allen Tieren verbieten, Fleisch zu essen? Fressen und gefressen werden, hast Du doch selber gesagt. Außerdem sind Tiere auch nicht an der Abholzung des Regenwaldes schuld!" 
"Regenwald, was interessiert uns das denn? Ist doch nicht schlimm, wenn es auf der anderen Seite der Welt ein paar Bäume weniger gibt."
"Ein paar Bäume weniger? Sag mal, spinnst Du? Das ist eine gigantische Kettenreaktion! Der Regenwald wird abgeholzt, um dort Soja für Viehfutter anzupflanzen, dadurch gibt es zu viel CO2 und die Erde erwärmt sich, und alles nur, weil Leute wie du so gerne Fleisch essen.", erwiderte Stan etwas zu laut und die Stewardess tippte ihm auf die Schulter.

Jetzt hatte ich doch ein schlechtes Gewissen, aber ich verdrängte es mithilfe der Mahjongg-App auf meinem Tablet. Stan quatschte noch irgendwas über die Eisschmelze am Nordpol, Solarzellen und Überflussgesellschaft, doch ich hörte schon lange nicht mehr zu.
Plötzlich machte das Flugzeug einen gewaltigen Ruck. Es hatte schon seit mehreren Stunden einige Turbulenzen gegeben, aber so heftig war es noch nie. Augenblicklich erleuchteten die Anschnallzeichen. Es gab einen lauten Knall und ich bemerkte das brennende Triebwerk. Jetzt schwebte mir alles vor Augen. Die Umwelt, der Klimawandel, alles. Ich hatte mich falsch verhalten. Nennt es egoistisch, verantwortungslos oder einfach dumm, ist mir egal. Ich hatte mich falsch verhalten, und jetzt bekam ich es zurück. Ich glaube, das nennt man Karma. Wenn es wirklich Wiedergeburten gibt, dann werde ich im nächsten Leben ein besserer Mensch. Ein Umweltbewusster. Vielleicht Veganer.
Wenn ich überhaupt ein Mensch werde. Wahrscheinlich rächt sich das Universum an mir und ich werde ein Regenwurm, und ich wusste, dass ich das verdient hatte. Ich schämte mich. Dann ging das Licht in der Kabine endgültig aus.

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