Der Junge und die Hoffnung

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Anna-Lena Eißler, 13 Jahre

Der Kleine ging alleine über die asphaltierte Straße, seinen Blick hatte er fest auf den Boden gerichtet, um ja keinen fremden Blicken zu begegnen. An der nächsten Straße, die er überqueren musste, blieb er kurz stehen und wartete, bis die leisen Geräusche der selbstfahrenden Autos verklungen waren, ehe er hastig über die Straße stolperte. Doch als er fast auf der anderen Seite angekommen war, übersah er sie Bordsteinkante und fiel hart auf den Boden. Sein viel zu schwerer Schulrucksack ging auf und ein Schwall von Büchern ergoss sich auf den grauen Asphalt. Der kleine Junge rappelte sich mühsam aus und besah seine blutig aufgeschürften Hände und Knie. Auch auf seinem Kinn war ein glühend rot hervorstechender Kratzer zu sehen, doch der kleine Junge wischte sich nur mit einem Ärmel über die blauen Augen, um seine Tränen zu vertuschen. Dann ging er in die Knie und sammelte seine Bücher und Hefte wieder ein. Die triste Hausfront ihm gegenüber sah ihn mit ihren großen Glasaugen an. Der Junge hob eine kleine, verwundete Hand und winkte. Traurig senkte er die Hand wieder, als er keine Antwort bekam. Wieder machte er sich daran, seine Sachen aufzulesen, als er plötzlich innehielt. Vor ihm, in einem kleinen Loch im sonst so perfekten Asphalt hatte sich eine kleine Löwenzahnpflanze den Weg nach draußen erkämpft. An der Stelle ihrer gelben Blätter trug sie auf ihrem Haupt bereits eine Krone aus den weichen und weißen Samen. Er fuhr mit seinen Fingern vorsichtig über die weiche Krone und fuhr erschrocken zurück, als sich ein Samen löste und von einem leichten Windstoß in die unübersichtlichen Weiten der Großstadt davongetragen wurde. Bis jetzt hatte der Junge Pflanzen nur im Unterricht gesehen. Er bewunderte die Stärke der Pflanze, die sich durch den harten Stein gekämpft hatte, um das Licht der Sonne zu erreichen. Erneut streckte seine Hand aus, bis er den Stiel der Blume zufassen bekam und riss daran. Erst wehrte sich die Blume noch, dann gab sie sich jedoch geschlagen und der Junge hielt sie seiner kleinen Faust. „ich will hier weg. Bring mich nach Hause.“, flüsterte er und blies mit einem kräftigen Luftstoß alle Samen auf einmal weg. Sofort wurden diese von einer sanften Brise erfasst und wirbelten davon. Der Junge zögerte nicht lange, sondern ließ alles stehen und liegen, um den weißen, weichen Flocken zu folgen. Es war als seien ihm Flügel gewachsen und er rannte mit ausgestreckten Armen in den Sonnenuntergang hinein. Er überließ seinem Körper das Laufen und schloss die Augen. Doch als er die Augen wieder aufschlug, stand er auf einer Wiese voller gelber und weißer Löwenzahnblumen. Er sog begeistert die frische Luft ein, die er so noch nie in seinen Lungen gespürt hatte. Müde von allem, was er an diesem Tag erlebt hatte, legte er sich einfach in das Meer aus Blumen und schloss sie Augen. Das letzte Wort, das über seine dünnen Lippen kam, ehe ihn der Schlaf übermannte, war: „Danke.“. Auch ihn hatte die Hoffnung letztendlich an sein Ziel geführt.

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Autorin / Autor: Anna-Lena Eißler, 13 Jahre